Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Personen den Gesetzeserlass des Präsidenten in Frage stellten. Denn in Wahrheit war für alle klar zu erkennen: Die Weltmeere starben tatsächlich. Trotz aller Bemühungen seitens der Regierungen hatte man kein Heilmittel gegen das Fischvirus gefunden, das sich zudem unaufhaltsam ausbreitete. Natürlich hatte man Versuche unternommen, die Krankheit einzudämmen, die auch das Leben in den Flüssen und Flussmündungen bedrohte, aber das Problem hatte sich als unlösbar erwiesen. Denn was war schwieriger, als einen winzigen Fisch zu stoppen? Das Sterben der Weltmeere machte der gesamten Menschheit deutlich, dass sie sich in der Gewalt einer unmittelbar drohenden globalen Katastrophe befand. Und zwar einer, die kein Politiker, so wortgewandt er auch sein mochte, zu lösen imstande war.
Die Schließung der Grenzen in Europa wurde schon bald durch ähnliche Maßnahmen in den USA , China, Russland, Indien und anderswo kopiert. Dies hatte sofortige Auswirkungen auf den internationalen Handel und die Wirtschaft. Fluggesellschaften gingen über Nacht bankrott, Börsen wurden überflüssig, weil die Güter, mit denen dort gehandelt wurde, nicht mehr befördert werden konnten. In den Ländern fuhren die Eisenbahnen zwar weiter, doch sämtliche kommerziellen and privaten Flugzeuge blieben am Boden – um zu verhindern, dass Wirtschaftsflüchtige von einem Land ins andere gelangten. In den Ländern wurden zunehmend repressive Maßnahmen umgesetzt, die die eigenen Bürger und Nahrungsmittelvorräte schützen sollten. Menschen wurden verhaftet, weil sie versuchten, eine Grenze zu überqueren. Im Fernen Osten artete diese Vorgehensweise schnell in eine Strategie des »Todesschusses« aus. All das vor dem Hintergrund, dass Familien auseinandergerissen wurden und verzweifelte Anstrengungen unternahmen, nach Hause zurückzukehren.
Nach Hause, dort, wo das Herz ist.
In Italien löste die Schließung der Grenzen bürgerkriegsähnliche Unruhen aus. Riesige Menschenmengen versammelten sich in Rom und umstellten das Parlament, in den Provinzen wurden örtliche Regierungsbüros geplündert und Beamte angegriffen. Für die Öffentlichkeit lag die Schuld bei den Politikern und den Beamten.
Sie
hätten mehr zum Schutz der Umwelt tun müssen. Stattdessen hatten sie sich nur um sich (und ihre Brieftaschen) gekümmert.
Neben ihren Versuchen, die Wut der Bürger zu mildern, hatte die italienische Regierung noch eine andere vorrangige Aufgabe. Den Streitkräften wurde befohlen, die Vorräte an nichtkontaminiertem Wasser zu schützen. Dazu wurden die Arsenale geöffnet und Waffen ausgegeben. Zudem richtete die Regierung einen Notfall-Fernsehkanal ein (hilfreicherweise stellte Martinellis Telecom-Unternehmen die Netzleitungen zur Verfügung) und brachte regelmäßig Nachrichten, in denen die Bevölkerung aufgefordert wurde, Ruhe zu bewahren und zu Hause zu bleiben. Andere Meldungen täuschten die Bevölkerung noch stärker: Man versicherte ihr, es handle sich um vorübergehende Maßnahmen, die aufgehoben würden, sobald sich die internationale Lage verbessert habe. Allerdings glaubten immer weniger Menschen den Politikern, und das Verhältnis zwischen Regierung und Wahrheit, das ohnehin stets angespannt war, begann zu bröckeln.
Wie lange dauerte diese erste Phase des Untergangs der Zivilisation? Eine Woche? Die Autoren der Armageddon-Szenarios – die italienischen Beamten, die die Katastrophenberichte für ihre Minister schrieben – hatten das Tempo des Zusammenbruchs des Landes enorm unterschätzt, weil sie annahmen, dass die meisten Menschen vernünftig handeln würden. Das war ein Irrtum. Die Menschen reagierten individuell, je nach der persönlichen Einschätzung der Ereignisse. Als verkündet wurde, Italiens Grenzen seien geschlossen worden, flüchteten die Leute sofort in Scharen ins Grenzgebiet. Bei manchen stellte das eine vernünftige Verhaltensweise dar – um Freunde und Angehörige zu erreichen. Doch viele flüchteten aufgrund der unvernünftigen Annahme, dass die Regierung sie irgendwie im eigenen Land festhielt und dass sie, wenn sie nur hinauskommen könnten, frei waren. Im Gegensatz dazu ignorierten andere die Ereignisse vollständig. Nun gut, die Meere starben, die Flüsse starben, und die Grenzen wurden geschlossen. Na ja, dann buchten sie eben Ferien mit den Kindern im Süden Italiens, auf die sie sich schon das ganze Jahr freuten. Die Welt würde warten müssen – sie hatten keinesfalls die Absicht, ihre Pläne zu
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