Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
sein. Du weißt nicht, wem das Schloss gehört.«
»Doch. Mir.« Josua lachte.
»Wie bitte?«
Josua ignorierte die Verwirrung seines Gefährten, denn Offenbarungen strömten in sein Unbewusstes. Auf der Erde konnten die Menschen den Sinn ihres Lebens nicht verstehen, da es menschliche, spirituelle und göttliche Bestandteile enthielt. Außerdem erkannten nur wenige, dass die Funktionsweise des Geistes auf dem Vorhandensein bestimmter entscheidender Tugenden beruhte. Das zeigte sich nur, wenn ein Mensch starb. Der Tod war der einzige Weg aus dem irdischen Labyrinth, aber es gab zwei Weisen zu sterben. Um in die spirituelle Welt zu gelangen, konnte ein Mensch körperlich oder seelisch sterben. Wenn er seine irdischen Güter losließ, war ein Mönch oder eine andere Person imstande, eine Brücke zu überqueren und in eine andere Dimension – eine andere Welt – zu gelangen.
»Lass uns dorthin gehen!«
Sie bewegten sich. Zumindest in Jussefs Traum. Er hatte das lebhafte Gefühl, dass sie durch einen Hain gingen. Bäume schimmerten im Sonnenlicht.
»Siehst du die Bäume dort, Josua? Oder bilde ich sie mir nur ein?«
»Das sind die Tugenden.«
»Äh? Die sehen aus wie Olivenbäume.«
Wieder ignorierte ihn sein Schützling. Die Bäume waren ein Symbol für spirituelle Eigenschaften, Eigenschaften, die die Engel besaßen. Eigenschaften, die die Menschheit einst besessen hatte. Stetig näherten Josua und Jussef sich dem Schloss.
»Wie spät ist es?«, fragte der Priester. Alles war still hier.
»Hier gibt es keine Zeit. Besser gesagt: fast keine.«
Josua blieb stehen. Er wusste, er reiste von seinem Geist in sein Herz; das war klar. Und dass mit jedem Schritt die Zeit selbst sich auszudehnen schien. Es war keine menschliche Zeit, sondern eine äonische Zeit – eine so riesige Dauer, dass sie beinahe unerkennbar war. Er blickte nach unten.
»Siehst du irgendetwas auf dem Boden, Jussef?«
»Blätter. Die Blätter eines Baumes.«
»Sieh genauer hin!«
Jussef tat es. Wie seltsam! Was waren das für Dinge, die da zwischen den Blättern lagen? Sie sahen aus wie Früchte. Nein, nicht Früchte …
»Das sind Edelsteine«, sagte Josua. »Rubine, Saphire, Smaragde, Diamanten.«
»Das kann nicht sein.«
»O doch!«, erwiderte sein Gefährte ehrfürchtig. »Das sind die Früchte der Tugend. Hat man sie verzehrt, dann hüllen sie den Geist wie in ein Kleid.«
»Wie in ein Kleid?«
Josua sprach, auch wenn die Worte von einem anderen kamen. »Handelt eine Person nicht mehr tugendhaft, dann wird sie nackt. Und wenn sie spirituell nackt ist, wird ihr bewusst, dass sie dem Bösen ausgesetzt ist. Deshalb läuft sie weg und versteckt sich – denn das erste Zeichen für die Anwesenheit des Bösen ist die Angst. Sie sammelt diese …« – Josua bückte sich – »… Blätter ein und versucht, ein Kleid daraus zu machen. Aber das Kleid ist zu nichts nütze.«
»Zu nichts nütze?«
»Im Kampf gegen das Böse. Die Blätter symbolisieren das Ritual, während die Früchte für wahre Spiritualität stehen. Als Adam und Eva in Ungnade fielen, erkannten sie, dass sie nackt und einem spirituellen Feind ausgesetzt waren. Also versteckten sie sich – sie verbargen ihre Herzen –, denn sie hatten Angst. Und sie machten sich ein Kleid aus Blättern, um ihre Blöße zu bedecken. Ich meine, sie strebten nicht mehr nach Tugend, sondern nur nach den äußeren Symbolen der Tugend. Sie vollführten die Rituale, aber sie praktizierten sie nicht mehr tief in ihrer Seele.«
»Wer hat dir das gesagt?«
»Bruder Theodore – ich höre ihn, wie er mit mir spricht.«
»Du spinnst; hier ist niemand sonst.« Pater Jussef ließ den Blick umher und nach oben schweifen. Am Himmel stand eine gleißende Sonne.
»Adam und Eva verloren das Kleid, das die Seele umhüllte, und zwar ganz und gar. Das Kleid besaß keine Nähte, da alle Tugenden miteinander verknüpft sind. Was siehst du jetzt?«
Jussef war verdutzt. War Josua blind? »Wir haben natürlich das Schloss erreicht und stehen vor einem der Tore.« Jussef drückte mit den Händen dagegen und trat mit dem Fuß nach. Das Tor war offensichtlich aus Gold, auch wenn es sich warm anfühlte.
»Geh hinein.«
»Meinst du, einfach hineingehen? Ich habe keinen Schlüssel.«
»Aber ja.«
»Stell dich nicht so dumm, die Tür ist abgeschlossen!« Jussef warf sich gegen das Tor. »Die Tür geht nicht auf.«
Josua schwieg. Der Schlüssel zum Tor lag sicherlich in den Bildern, die sie vorher
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