Die Juden von Zirndorf
und für den Wirt. Denn Sürich Sperling verachtete den Adel, verachtete das Gesetz, verachtete den Pfaffen und verachtete die Obrigkeit. Er war ein Sohn der großen Natur rings umher, der großen Ebene, die sich riesenleibig dehnt. Doch war sein Gemüt kindlich, und er war leicht zu lenken. Oft war er rätselhaft in seinem Wesen, schrie und tobte und war innerlich traurig. Sein Vater soll ein Riese gewesen sein, und von seiner Mutter erzählte man sich seltsame Dinge wie von einer Messalina. Sürich Sperling paßte nicht in das enge Dorf. »Das Urbild des Germanen« fand hier kein Bett, worin es bequem ruhen konnte.
Zweites Kapitel
Kaum hatte Helene Rosenau berichtet, was sie gesehen, als Elkan Geyer seinen Hut vom Nagel riß und hinausrannte. Die Kinder begriffen nicht, worum es sich handelte und blickten scheu und fragend umher. Isidor stand leise und verlegen trällernd am heißen Ofen und tippte mit den Fingern an die Kacheln. Der alte Enoch war still; sein Blick hatte sich umschleiert; es war, als ob die beängstigende Stimmung von ihm ausflösse.
Elkan eilte die Gasse hinunter. Am Brunnen standen noch immer schwatzende Jungfern. Das Wasser lief plätschernd in den Trog, und der dünne Strahl war blutrot im Widerschein des Schmiedefeuers. Sürich Sperling hockte vor seinem Haus auf den Steinfließen, hatte das Gesicht zwischen die Hände geklemmt und starrte unverwandt hinüber in die Esse, vor deren Glut die Gesellen schwarz hin- und hereilten. Elkan Geyer ging hin zu ihm und fragte: »Was haben Sie mit meinem Sohn gemacht? Reden Sie!« Sürich Sperling schwieg, er erhob nicht einmal die Augen. Elkan wiederholte seine Frage, aber der andere öffnete den Mund nicht, machte keine Bewegung, blieb starr wie im Schlaf. Sein Gesicht hatte den Ausdruck eines Menschen, der in tiefem Nachdenken begriffen ist oder eines Kranken, dem man den Tag seines Todes vorhergesagt hat. Was ist mit ihm vorgegangen? dachte Elkan und er wagte es, diesen Feind an der Schulter zu rütteln. Er hätte nicht den Mut dazu gehabt, wenn ihn nicht Furcht und Verzweiflung getrieben hätten. Da richtete sich Sürich Sperling auf und ging schweigend ins Haus. Elkan, der sich nicht getraute, ihm zu folgen, zitterte vor Besorgnis. Er ging hinüber zu den Mägden. Sie sagten, daß Agathon kurz zuvor Sürich Sperlings Haus verlassen hätte. Erleichterten Herzens aufseufzend, kehrte Elkan den finstern und schmutzigen Weg zurück.
Frau Jette kam ihm im Flur entgegen; ihre Augen fragten angstvoll, ihr Mund nicht. Die Rosenaus hatten sich mit Trostsprüchen entfernt; wenn es nicht mehr munter und witzig herging, wurde es ihnen unbehaglich. »Ist er nicht da?« stieß Elkan heftig hervor, indem er in die Stube trat und sich unruhig umsah. Niemand antwortete. Aber kaum hatte Frau Jette die Türe hinter sich geschlossen, als sie leise wieder aufging und Agathon hereintrat. Sofort gewahrten alle, daß in seinem Gesicht etwas war, das sie vorher nicht darin gesehen hatten. Er schlich mehr, als daß er ging, sagte weder guten Abend, noch sonst eine Silbe, setzte sich neben seine Schwester Mirjam, der er flüchtig schmeichelnd übers Haar strich, nahm einen der erkalteten Erdäpfel von der Platte, schälte ihn und begann zu essen. Aller Augen waren auf ihn gerichtet, aber er schien nichts davon zu bemerken. Mit bleiernem und glanzlosem Blick guckte er auf seinen Teller und aß anscheinend mit Ekel und Überwindung. An seinem Hals war eine blutige Schramme.
»Wo warst du?« fragte Elkan Geyer mit richterlicher Würde und trat an den Tisch. Seine Stimme bebte. Agathon sah seinen Vater ausdruckslos an und fuhr fort zu kauen. Frau Jette hatte sich, den Kopf auf den Arm gestützt, weit über den Tisch gelegt und sah ihren Sohn durchdringend an.
»Woher hast du die Schramme?« fragte Elkan Geyer weiter und stützte beide Fäuste auf den Tisch. Seine weichen, guten Augen begannen zu funkeln. Auch Enoch trat jetzt herzu, schob den Kopf Agathons mit der Hand so weit zurück, daß ihm das Gesicht aufwärts zugewandt war und blickte ihn finster an. Agathon schlug die Augen nieder. »Woher hast die Schramme?« brach Frau Jette mit ihrer kreischenden Stimme aus. – »Vom Baum,« murmelte Agathon. Elkan Geyer verfärbte sich und sprach plötzlich zum Erstaunen der andern von den Erfolgen seiner Fahrt nach Altenberg.
Agathon erhob sich und verließ das Zimmer. »Sag' mir um Gotteswillen, was der Junge hat!« klagte Frau Jette. Elkan stand am Fenster. Ihm war, als
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