Die Juden von Zirndorf
mit einem Zudrücken ihrer Augenlider beantwortete, wieder hinausging.
Plötzlich kam Bärman Schrot mit der blauen Schürze, mit schmutzigen Händen – geradewegs von seinem Acker. Er deutete mit ängstlichen Bewegungen hinter sich: der Schuster Garneelen, sowie der Schmied folgten ihm auf dem Fuß. Sie kamen herein, der Schmied mit einem Hammer, der Schuster mit aufgestreiften Ärmeln, beide mit Gesichtern, die wie von Trunkenheit gerötet waren, und der Schmied schlug mit dem Hammer auf die Lehne eines Stuhls, daß sie krachend zerbrach. Mit schrillen Schreien flüchteten die zwei Kinder in das Zimmer der Mutter, und gleich darauf erschien Frau Jette im Bettgewand auf der Schwelle, einer Leiche gleich und mußte sich am Pfosten aufrecht halten. Der Schuster schrie, daß ihm seine Ersparnisse gestohlen seien, und er werde dafür sorgen, daß in drei Tagen kein Jud mehr lebe im Dorf, dafür werde er sorgen, man könne sich darauf verlassen. Der Schmied heulte mehr, als er redete, schlug mit dem Hammer blind um sich, wollte seine zweitausend Mark haben, oder er haue alles zusammen vom Dach bis zum Keller. Auf ein paar Jahre Zuchthaus käme es ihm nicht an, ihm nicht. So schrien sie beide. Auf der Gasse sammelten sich die Menschen, drückten die Gesichter an die Fensterscheiben, drängten sich in den Flur, standen unter der Türe, und endlich entschlossen sich ein paar ältere Männer, den zwei Wütenden zuzureden und sie langsam und durch Übermacht hinauszuschieben. Sie taten es jedoch sichtlich mit Widerwillen, nur aus Mitleid mit dem entsetzlichen Bild der Frau, die steif und regungslos an der Schwelle ihres Krankenzimmers stand, hinter sich zwei zitternde Kinder.
Als der Raum wieder leer von Menschen war, versperrte Agathon die Tür und sah seinen Vater prüfend an, der in sich zusammengesunken, mit blauen Lippen hockte und ein Gebet murmelte. Enoch Pohl sagte nichts; seine Züge waren unbewegt. Er brachte seine Tochter ins Bett zurück, puffte die Kinder die Stufen hinunter und stellte sich dann mit dem Rücken gegen den Ofen.
Es klopfte an die Türe, erst leiser, dann stärker. Agathon fragte, wer da sei; Gedalja war es. Agathon ging hinaus, schloß den Laden ab und rief der Magd zu, sie solle den Arzt zur Mutter holen. Aber die Stimme der Frau Hellmut, die sich mit der Magd eingeschlossen hatte, antwortete, sie mache nicht auf, sie könne nicht ihr Leben riskieren bei diesen Zuständen.
»Ich hab's vorausgesehen,« sagte Gedalja, beständig nickend, während er redete. »Werd ihn Gott beglücken dafor, den Herrn Baron Löwengard. Sin user fufzig Leit im Dorf, die um alles Geld kommen. Werd wachsen die Feindschaft, daß mer nit habn e friedliche Stund. Mich dauert nor sein Kind, nebbich. Is as wie e Rose zwischen die Dorner, die sticht sich stets un bleibt dennoch in ihrer Farb. Elkan, du dauerst mich aach. Hast dich abgeschunden 's ganze Leben, hast gesammelt en übrigen Heller für die Kinder un jetz is es weg. Du bist der beste Mensch, den ich kenn, aber Mark haste kaans in die Knochen. Da sitzte jetz un starrst. Zu was? Bin ich worn gestraft un hab verloren alles, was der Mensch nötig hat for sein Alter. Sitz ich da un starr? Müßt ich nit starren und erstarren, wenn mein eigen Fleisch und Blut is geworn zum Bösewicht? Ball is es aus, das Töpsche Leben, ausgeleert un ausgeschütt, nachher gitts nix mehr zum Starren.«
Am Nachmittag kam Pavlovsky der Gendarm und ein Gerichtsschreiber. Alle erschraken. »Enoch Pohl!« rief der dicke Pavlovsky und erhob die Augen nicht von dem Papier in seiner Hand. Ein Todesschweigen folgte, worauf der Gendarm einen Verhaftsbefehl wegen betrügerischen Wuchers verlas. Pavlovsky war noch nicht zu Ende, als Elkan Geyer von seinem Sitz auf die Erde sank und, wie ein Wurm sich windend, hilflos zu schluchzen begann. Agathon konnte es nicht sehen und wandte sich ab. Seine Geschwister stürzten sich über den Vater und begannen jämmerlich zu heulen; Frau Hellmut kam herein und schrie laut auf, Sema faltete stumm die Hände und seine Augen waren für einige Sekunden förmlich gebrochen. »Mutter,« murmelte Agathon verstört, als er vom Krankenzimmer her ein beängstigendes Stöhnen vernahm. Er sah hinaus auf die Gasse, wie ein gefangenes Tier in den Wald sieht; er sah den grauen, wolkenvollen Himmel und die Häuser, die unbeweglich standen und wunderte sich, daß die Welt noch dasselbe Bild der Ruhe und Herbstlichkeit bot. Pavlovsky hatte die Blicke noch nicht von seinem
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