Die Juden von Zirndorf
Die Lehrer sahen auf: bestürzt und kopfschüttelnd. Bojesens Gesicht war tief niedergebeugt. Er hatte sich gesetzt; die blassen Hände lagen regungslos auf den Knien.
»Nun haben Sie den vollgültigen Beweis seiner Bösartigkeit und Gefährlichkeit, meine Herren,« sagte der Rektor verächtlich. »Eine verstockte, gottlose, pietätlose Natur. Sie können gehen, Geyer.«
Agathon ging. Draußen überfiel ihn plötzlich große Schwäche und er sank auf die Treppe. Er hörte eine leise, aber feste Stimme in dem Raum, wo man Gericht über ihn hielt, – Bojesens Stimme. Lange redete diese Stimme, bis auf einmal der Rektor zu schreien anfing, wilder als ihn Agathon je gehört. Gleich darauf öffnete sich die Türe and Bojesen kam allein heraus. Er sah Agathon und bedeutete ihm, daß er ihm folgen möge.
Als sie im Privatzimmer des Chemikers angelangt waren, verschloß Bojesen die Türe. »Ich verstehe Ihren Antrieb,« sagte er etwas gequält, »ich kann ihn menschlich würdigen, mag er so nutzlos sein als er eben ist. Aber wie sind Sie dazu gekommen? Es gehört doch ein Entschluß dazu, die eigene Zukunft so mit Füßen zu zertreten.«
Agathon saß auf dem Rand eines Stuhls und fror. Er blickte ins Kohlenfeuer, wo sich wunderliche Ruinen türmten aus der scharlachroten Glut. Dann fing er fast willenlos an zu sprechen, nicht ohne Furcht vor den eigenen Worten: »Ich weiß eigentlich nicht. Es ist schon lange her, daß ich daran dachte. Ich meinte, viele Menschen könnten leicht zu dem gelangen, was ihnen zum Glück fehlt. Ich habe nie die jüdische Religion geliebt. Ost war mir, als müsse ich allen Juden ein Wort sagen, das sie befreien könnte. Aber das war mehr wie ein Traum, bis die Geschichte mit Sürich Sperling kam.«
»Und was war das?«
»Sürich Sperling hieß der Sebalderwirt bei uns im Dorf. Mein Vater fürchtete ihn so, daß er schon zitterte, wenn er seinen Namen hörte. Er hatte einen Schuldschein meines Vaters an sich gebracht und damit quälte er ihn. Als wir einmal bei der Überschwemmung nach Altenberg fuhren, kam er in einem anderen Boot, stieß mit Absicht an unseres und ich stürzte ins Wasser. Da dachte ich mir, es könne keine Sünde sein, ihn zu töten. Am selben Abend sah ich zu, wie er ein altes Männchen mißhandelte, da ging ich hin und spie ihm ins Gesicht. Er schleppte mich in sein Zimmer, nahm einen Strick und band mich an ein schwarzes, Kreuz an der Wand und schlug mich. Alles das sag ich nur Ihnen, weil ich weiß, daß Sie verschwiegen sind.«
Agathon schlug die Hände vors Gesicht und Erich Bojesen hörte mit aufgerissenen Augen zu. Agathon fuhr fort, ohne die Hände vom Gesicht zu nehmen. »Da sagte ich zu ihm: Sürich Sperling, das ist Ihr Tod. Da lachte er und sagte: sprich, du Aas, habt ihr nicht den Heiland gekreuzigt?
Da war mir, als ob die Tür aufginge und Lämelchen Erdmann hereinkäme, eben jener Alte, den Sürich Sperling beschimpft hatte; und es war mir, als ob er sich niedersetzte und nickte und lächelte, und es war sein Gesicht, das ich kannte und wars auch wieder nicht. O, Sürich Sperling, sagt er, das ist eine Handlung voll Bedeutung, denn von jetzt an sind die Juden frei. Nimmer die Milde wird regieren, sondern die Kraft. Wir werden hassen unsere Feinde, hassen, hassen! Der ewige Jud ist erlöst und du, Sürich Sperling, wirst werden der ewige Christ. Denn die Welt wird neu, sie wird sich häuten gleich einer Schlange, dann wirst du sein der ewige Christ und du wirst verurteilt sein all das Blut zu sühnen, das der Christ unschuldig hat fließen lassen. Plötzlich verschwand die Erscheinung, Sürich Sperling band mich los, er war totenbleich, zitternd hieß er mich gehen, und seine Augen blickten auf mich voll Angst und Entsetzen.«
Bojesen blickte durch die Fenster auf die Straße, wo die Menschen wanderten, einzeln oder zu zweien und mit Schirmen, denn es begann zu regnen. Ihm kam alles unwirklich vor; als ob das ganze Leben nur ein flüchtiges Bild sei, der Traum eines Traumes in uns selbst, wobei man nah ist, zu erwachen, es wünscht oder fürchtet. Er ging hin, nahm Agathons Kopf zwischen beide Hände, richtete ihn mit einem Ruck empor, schaute ihm in die Augen und machte die Wahrnehmung, daß es die seltsamsten Augen waren, die er je gesehen: schwarz und tief, von einem mühlos lodernden, und doch verhaltenen Feuer, voll von der Gabe der Vision. Wenn sie ihn anblickten, war es, als ob der Blick aus weiter Ferne besinnend zurückkehrte und erst lange
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