Die Juedin von Toledo
manchmal Mühe, sich aufrecht zu halten, diese ganze Reise in die noch verschneiten Berge hinein und über die Pässe war Strapaze und Wagnis, aber die alte Frau schrak nicht zurück vor Mühe und Gefahr. Sie spürte, die fünfzehn Jahre Haft hatten sie nicht gelähmt, und das Bewußtsein, daß sie, die vor kurzem noch hilflos zornig im Turm von Salisbury gesessen hatte, jetzt wieder mit festen, geschickten Händen ihr Pferd und ihre Länder lenken konnte, mehrte ihre Kraft. Hell schauten ihre blauen, etwas harten Augen in das vertraute Land. Sie drängte voran, sie befahl lange Tagesreisen und verschmähte es, ihr Pferd gegen Sänfte oder Tragsessel zu tauschen, auch wenn es gegen Abend ging und alle müde waren.
Sie war auf dem Weg nach Kastilien, nach Burgos, um Doña Leonor zu besuchen, ihre Tochter, der Vermählung ihrer Enkelin Berengaria beizuwohnen und das Verlöbnis einer zweiten Enkelin in die Wege zu leiten.
Je tiefer nach dem Süden sie vorstieß, um so größer wurde ihr Gefolge, ihre »Mesnie«. Als man in die Pyrenäen hineintauchte, waren es an die fünfhundert Ritter und zweihundert Frauen und Fräuleins, preux chevaliers et dames choisies, stolze Ritter und erlesene Damen, Prälaten und Barone aus allen ihren Ländern, dazu eine Leibwache von ausgesuchten Routiers, erprobten Söldnern, Brabançons und Cottereaux, die begleitet waren von wohlabgerichteten, scharfen Wachhunden. Ein Troß von mehr als tausend Wagen folgte, Gepäck, notwendigster Hausrat und Proviant, dazu Geschenke für die Bevölkerung. Reitknechte und Wärter führten Pferde und Jagdhunde der Königin und ihrer großen Herren, Falkeniere trugen ihre Lieblingsfalken. So wand sich der Zug bunt und langsam durch die hier und dort noch verschneiten Berge.
An der kastilischen Grenze holten Alfonso und Leonor, Don Pedro von Aragon und die Infantin Berengaria die alteKönigin ein. Vor den Toren von Burgos kamen ihr die angesehensten Prälaten und Höflinge der beiden Könige entgegen. Feierlich zog sie in Burgos ein, überall wehten Fahnen, von den Fenstern und Balkonen hingen Gobelins und Tücher, alle Glocken der kirchenreichen Stadt läuteten, die Wege waren bedeckt mit Zweigen und Blumen, die Duft verströmten unter den Hufen der Pferde und den Schuhen der Schreitenden.
Sie war, die wilde und glänzende Ellinor, Jahrzehnte hindurch die am meisten bewunderte und gescholtene Frau Europas gewesen, und nun man sie in der alten Herrlichkeit einherziehen sah, lebten die zahllosen Geschichten auf von ihren Abenteuern im Kriege, in der Staatskunst und in der Liebe. Wie sie der Sporn und das Herz des Zweiten Kreuzzugs gewesen war, einherreitend an der Spitze der Kreuzfahrer, kriegerisch und prächtig gleich der Penthesilea, der Führerin der Amazonen. Wie in der glorreichen Stadt Antiochien König Raymond, ihr jugendlicher Onkel, in uferlose Liebesleidenschaft gefallen war. Wie er und ihr Mann, der König von Francien, der Siebente Louis, sich um sie stritten, bis schließlich ihr Mann sie dem andern mit Gewalt zurück übers Meer entführte. Wie sie diese Gewalt nicht duldete und den Papst bewog, sie von dem König von Francien zu scheiden. Wie sogleich der junge Graf von Anjou zur Stelle war und um sie warb, eben der spätere König Heinrich von Engelland. Wie sie und er das gewaltige Reich schmiedeten. Wie sie Gelehrte an ihren Hof zog, Doktoren und Magister der sieben Wissenschaften und Künste, und Troubadours, Trouvères und Conteurs ohne Zahl. Und wie sie wohl auch dem oder jenem dieser Dichter ihre Gunst schenkte, dem Bernard von Ventadour etwa, obschon er nur der Sohn eines Ofenheizers war. Wie seinesteils Heinrich seine Königin hinterging mit vielen, vor allem aber mit einer, und wie Ellinor ihm diese seine schöne Geliebte Rosamund umbrachte. Wie er dann Ellinor einsperrte und wie sich ihre Söhne für sie erhoben und den Vater bekämpften. Und viele von den Liedern klangen wieder auf, fränkische, provençalische, katalanische, die ihren Hof rühmten,wo edelste Dichtkunst und zierlichste Sitte ihre Stätte hatten. Da sang der Dichter Philipp von Thaün: »Die süße junge Königin zieht alle Gedanken auf sich, wie die Sirene den sinnberaubten Fischer zur Klippe lockt.« Da sang Benoît de Sainte-Maure: »Du Hochgeborene, Erlesene, du Stolze und Kühne, der keine andere Fürstin gleicht, des größten Königs größere, freigebigere Gattin.« Und selbst ein rauher Deutscher hatte gedichtet: »Wär die Welt alle mein / Von dem
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