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Die Juedin von Toledo

Die Juedin von Toledo

Titel: Die Juedin von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Bewußtsein. Er bemühte sich um Alazar. Er hob das Visier, er wußte kaum, warum, er nahm dem Knaben den Helm ab und wußte kaum, warum, auch nicht, ob der Knabe ihn noch erkannte. Er dachte vorwurfsvoll, daß Alazar ihm doch die tausend Ritter hätte aussuchen sollen, die er ohne Lösegeld freigeben wollte. Der Knabe atmete hart, sein sonst blaßbräunliches Gesicht sah gerötet und verschwollen aus und inmitten all des Schmutzes, des Blutes, der Hitze, der sichtlichen Qual sehr jung. Alfonso beugte sich tiefer über ihn, sah ihn, sah ihn nicht, sah ihn, sagte mit einer Stimme, die heiser vom vielen Schreien war: »Alazar, mein Junge, mein Treuer.« Alazar hob die Hand, mit Mühe, Alfonso verstand nicht, wozu; später deutete er sich’s so, daß Alazar ihm hatte den Handschuh zurückgeben wollen, und es war ihm leid, daß er’s nicht verstanden hatte. Alazar bewegte die Lippen, Alfonso wußte nicht, ob er sprach. Er glaubte zu hören: »Sag meinem Vater –«, aber er erinnerte sich erst viel später, daß er geglaubt habe, das zu hören; auch hätte er nicht sagen können, in welcher Sprache der Knabe diese Worte gesprochen hatte.
    Es schwemmte aber, während er über Alazar gebeugt war, zum erstenmal an diesem Tage und auch jetzt nur sehr trübinmitten des Geschreies und Geklirres der Gedanke herauf an Raquel, und sogleich auch der Gedanke an Manrique und Nuño Perez, die ihm geraten hatten, innerhalb der Mauern der Festung zu bleiben, und der Gedanke an den zornigen Don Rodrigue. Aber er verweilte nicht bei diesen Gedanken, es war keine Zeit. Auch war keine Zeit, sich länger mit dem Knaben zu befassen; nur schnell noch das Zeichen des Kreuzes über ihn machen konnte er.
    Denn nun wälzte es sich abermals herauf durch den Staub und Dunst, und wieder in ungeheuern Massen. Stumpf, in finsterer Wut, schaute Don Alfonso dem Gewimmel entgegen. Endete das niemals? Fünfhundert mal tausend Mann, hatten die Späher gesagt, sie hatten nicht gelogen. »Bisher haben wir es nur mit der Vorhut zu tun gehabt«, scherzte böse der Erzbischof, »jetzt erst kommt der rechte Feind.« Und: »Gut«, sagte Bertran, »so mehr Mütter und Weiber werden um sie klagen.« Und: »Zurück, langsam zurück!« drängten alle. Bertran aber stimmte eines seiner Lieder an:
    »Keiner von uns ist Sohn eines Manns,
    Der feig im Bette starb.
    Und wir selber wünschen nicht andern Tod
    Als im Feld und durch kalten Stahl.«
    So, langsam, die Gesichter dem Feinde zugekehrt, auf tänzelnden Pferden, wichen sie die Höhe hinauf.
    Getümmel war, unübersichtlicher Kampf. Doch als sie am Fuß des letzten, steilsten Teils der Höhe angelangt waren, hatten sie sich von neuem Raum geschaffen, und hier konnte ihnen keiner in den Rücken kommen. Sie atmeten, schauten sich um, suchten, zählten. Es waren ihrer nun um die zweihundert. »Wo ist Don Martín?« fragte Alfonso. »Er ist getroffen«, sagte Garcerán. »Schwer, wie es scheint. Sie suchen ihn über die Höhe zu schaffen, ins Eichengehölz. Sie wollen ihn über den Arroyo bringen.« Und: »Du solltest zurück, Herr König«, bat er dringlich, »solang sie den Weg über den Arroyo noch nicht entdeckt haben.« Es führte nämlich unmittelbarjenseits der Höhe ein gedeckter Pfad ins Eichengehölz und zu einem Übergang über den nördlichen Teil des Arroyos. »Nach ihrem nächsten Sturm«, entschied Don Alfonso, da sich der Feind schon wieder, und dieses Mal sehr nahe, zum Angriff sammelte. Und: »Was ist mit dir, Herr Bertran?« fragte er. »Bist du verwundet?« – »Es sind nur ein paar Finger«, antwortete Bertran mit einer Stimme, die sich mühte, unbefangen zu klingen, und: »Wahrscheinlich werde ich dir nur ein Stück des Handschuhs zurückgeben können«, spaßte er. Dann war man wieder im Getümmel.
    Hier, am Fuß der letzten Höhe, löste sich jetzt die Schlacht in verbissene Einzelkämpfe auf. Ein jeder schlug um sich, wild, sinnlos, keiner hielt Fühlung mit keinem. »Und Alfonso, der Verfluchte«, berichtet der Chronist Ibn Jachia, »hob seine Augen von dem Gemetzel und sah die weiße Fahne des Beherrschers der Gläubigen – Allah schütze ihn – schon in nächster Nähe, und er sah die goldenen Buchstaben darauf: ›Allah ist Allah, und Mohammed ist der Prophet Allahs.‹ Da erzitterte das Herz des Verfluchten in großer Angst, und er floh. Und alle die Seinen flohen, und die Moslems verfolgten sie. Der Verfluchte selber entkam über die Höhe, aber die Moslems töteten Unzählige aus

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