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Die Juedin von Toledo

Die Juedin von Toledo

Titel: Die Juedin von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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ausziehen und halbnackt in ihre nackten Häuser zurückkehren. Dann gab er Befehl, sie hätten mit Zurücklassung ihrer Habe sein Reich binnen drei Monaten zu verlassen.
    Die meisten der Vertriebenen flüchteten in die benachbarten Grafschaften, die dem Namen nach Vasallenländer des Königs, in der Tat selbständig waren.
    Allein die Hand König Philipp Augusts erreichte sie auch dort.
    Da war etwa die Markgräfin der Champagne, Blanche, eine ältere Dame freien Geistes und freundlichen Herzens. Sie hatte viele der Auswanderer aufgenommen. Nun war es lange Zeit auf fränkischem Gebiet Sitte gewesen, in der Karwoche einen Vertreter der Juden, den Gemeindevorstand oder den Rabbiner, zum Andenken an die Marter Christi auf öffentlichem Platze zu ohrfeigen. Die Markgräfin hatte ihren Juden gestattet, diese Naturalleistung durch eine Zahlung an die Kirche abzulösen. König Philipp August, gereizt, weil seine Auswanderer bei der Markgräfin Blanche Zuflucht gefunden hatten, verlangte von seiner Vasallin, sie solle ihre Verfügung zurücknehmen. Er berief sich auf den Heiligen Krieg, sie mußte nachgeben.
    Allein das Schicksal ersparte den Juden den Schimpf, freilich auf eine klägliche, ja, tragische Weise. Bevor nämlich die Karwoche herankam, erschlug ein Kreuzfahrer, ein Untertan König Philipp Augusts, auf dem Gebiete der Markgräfin, in der Stadt Bray-sur-Seine, einen Juden. Die Gräfin verurteilte den Mörder zum Tode und ließ die Hinrichtung vollziehen am Tage des Purimfestes, dem Tage, da die Juden den Sturz ihres Feindes Haman durch die Königin Esther und ihren Pflegevater Mardochai feiern. Die Juden der Stadt Bray wohnten derExekution des Mörders bei, vermutlich nicht ohne Genugtuung. Dem König Philipp August wurde gemeldet, sie hätten dem Mörder, seinem Untertan, die Hände gebunden und ihm eine Dornenkrone aufs Haupt gesetzt, die Passion des Heilands verspottend. Der königliche Bösewicht, wie der Chronist ihn nennt, verlangte daraufhin von der Markgräfin, sie solle alle Juden der Stadt Bray festnehmen lassen. Sie weigerte sich. Der König schickte Soldaten nach Bray, die Juden wurden gefangengenommen und vor die Wahl gestellt zwischen Taufe und Tod. Vier ließen sich taufen, neunzehn Kinder unter dreizehn Jahren wurden ins Kloster verbracht, alle übrigen Juden wurden verbrannt, auf siebenundzwanzig Scheiterhaufen. Der Markgräfin Blanche sagte Philipp August: »Jetzt sind deine Juden ihrer Karfreitags-Ohrfeige ledig, Dame.« Dann zog er in den Heiligen Krieg.
    Die Juden des gesamten nördlichen Frankreichs aber fühlten sich nicht mehr sicher und schickten Sendboten an ihre Brüder in glücklicheren Ländern, in der Provence und in Hispanien, sie um Hilfe zu bitten.
    Ihre stärkste Hoffnung setzten sie auf die mächtige Gemeinde von Toledo. Dorthin schickten sie den Mann, der als der größte und frömmste unter den Juden Frankreichs galt, Rabbi Tobia Ben Simon.
    Kaum war Don Jehuda zurückgekehrt, so suchte Rabbi Tobia ihn auf.
    Unser Herr und Lehrer Tobia Ben Simon, genannt Ha-Chasid, der Fromme, der Episcopus Judaerum Francorum, das Oberhaupt der Juden Franciens, war ein Gottesgelehrter, berühmt und umstritten in Israel. Er war von unansehnlichem Äußern und bescheidenem Gehabe. Er entstammte einer alten Familie gelehrter Juden, die vor einem kleinen Jahrhundert vor den Wallbrüdern aus Deutschland ins nördliche Frankreich geflüchtet waren.
    Er sprach in dem langsamen, unreinen Hebräisch der deutschen Juden, der Aschkenasi; es klang sehr anders als dasedle, klassische Hebräisch, an welches Don Jehuda gewöhnt war. Doch bald vergaß er die Aussprache Rabbi Tobias über dem, was er zu erzählen hatte. Es erzählte aber der Rabbi von den zahllosen, fein ausgeklügelten, grausamen Schikanen des Königs Philipp August und von den greulichen, blutigen Ereignissen in Paris, in Orléans, in Bray-sur-Seine, in Nemours und in der Stadt Sens. Er erzählte schwerfällig, und er erzählte von den geringfügigen Qualen, welche die Verfolger den Juden angetan hatten, ebenso genau und ausführlich wie von den ungeheuerlichen Metzeleien, und das Kleine erschien groß, und das Große war ein Glied in einer endlosen Kette. Und wieder und wieder kam der Refrain: »Und sie schrien: ›Höre, Israel, unser Gott ist einzig‹, und wurden umgebracht.«
    Es war seltsam, den unscheinbaren Rabbi in dem stillen, prächtigen, geschützten Haus erzählen zu hören von den wilden Geschehnissen. Rabbi Tobia sprach lange

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