Die jungen Rebellen
Lachen und Singen sickern durch die Fenster in die kühle Stille heraus. Ábel erkennt Kikindays Stimme.
Bald führt der Weg abwärts, und Ábel eilt zum Schuster hin, leuchtet ihm mit der Laterne. Von Minute zu Minute wird es eine Spur heller. Unten im Tal über den Türmen und Dächern der Stadt zieht langsam der Tag herauf. In der Biegung, nach der es bergab geht, halten sie einen Augenblick an. Der Schuster redet leise vor sich hin. Sie lauschen ihm, fassungslos bebend. Er beugt sich über das Gesicht seines Sohnes, die drahtige Perücke steht seltsam in alle Richtungen vom Schädel ab, und er spricht so leise, daß sie keines seiner Worte verstehen. Dann setzt er sich eilig in Bewegung, hinab ins Tal, mit jedem Schritt sehen sie die Umrisse der Stadt deutlicher; und wie auf einer Hebebühne sinken sie tiefer und tiefer, bis das Panorama endgültig schwindet; schon schreiten sie eine Gasse entlang, das Schuhwerk des Schusters klappert im ungleichen Takt seiner Schritte übers Pflaster. Außer Bélas rhythmischem Schluchzen und den Pantinen des Schusters ist auf dem Weg durch die Gassen kein Laut zu vernehmen.
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Nachwort
Auch dieses Werk ist, wie die meisten Romane Sándor Márais, unschwer aus seiner Biographie herzuleiten. Im Vorwort, mit dem der Autor fast ein Menschenalter später die überarbeitete Neuausgabe der Jungen Rebellen im Romanzyklus A Garrenek müve (Das Werk der Garrens) einleitet, heißt es rückblickend:
»[ …] bei der Korrektur der Druckfahnen kehrte die Erinnerung an die Zeit zurück, da ich in der dünnen Luft der Einsamkeit versuchte, festzuhalten, was ich erlebt habe. Es war eine beunruhigende Wiederbegegnung [ …]«
Denn Márai ist mit den Jungen Rebellen nicht nur Àbel, Tibor, Ernő, Béla und der Heimatstadt Kaschau wiederbegegnet, er sah sich auch konfrontiert mit seiner eigenen Kindheit und Jugend. Damals, als der Halbwüchsige begonnen hat, sich von der »vielköpfigen, lauten, nestwarmen Gemeinschaft«, die ihn als Familie umgab, zu lösen, machte auch er sich auf die Suche nach einem neuen Kreis von Alters- und Leidensgenossen, geriet in die Welt der Banden und Cliquen. In Bekenntnisse eines Bürgers, dem Roman, in dem die autobiographischen Bezüge am augenfälligsten sind, berichtet Márai über solche Banden von Jugendlichen, die auf Gedeih und Verderb zusammenhielten und voll Verachtung waren für die ihnen widerwärtige Welt der Erwachsenen:
»Diese [ …] Zusammenschlüsse gleichaltriger und seelisch verwandter Knaben in kaum bewußter Rebellion außerhalb der Gesellschaft der Erwachsenen, mit deren Gesetzen und Lebensregeln sie ihren Schabernack trieben drängten mich alsbald in einen anarchischen Zustand.«
Im Roman ist der junge Márai Ábel oder leiht ihm doch sein Gesicht, seine Gestalt, seine Seele und seine literarischen Ambitionen. Vergeblich umschwärmt Ábel, der junge Intellektuelle, der Suchende, der Leidende, den geliebten Tibor, ist ihm zu Diensten, möchte ihm gefallen. Dieser Tibor, der allseits Umworbene, ist ein weiteres Mitglied der Clique und hat sein Urbild ebenfalls im Umfeld des jugendlichen Márai, war sein Klassenkamerad, Sohn aus bester Familie, Elemér mit Namen:
»[ …] in der Tat war er ein selten schöner Junge, ein wahrer Ephebos. Er schaute mit blauen Augen in die Welt, der knochengelbe Teint seines Gesichtes unterschied sich nur um einen Schimmer vom Blond seines Haars [ …] dies alles weckte verzehrendes Verlangen nach ihm.«
Und wie unter den »jungen Rebellen« erwies sich auch im wirklichen Leben das Idol Tibor/Elemér für Ábel/ Sândor als unerreichbar –so beichtet Márai in den schon erwähnten Bekenntnissen eines Bürgers:
»Meine Liebe war einseitig und hoffnungslos; mein zähes und demütiges Werben beeindruckte diesen Abgott nicht [ …] ich gebe ihm, was ich habe, ich begleite ihn mittags nach Hause und hole ihn morgens ab, am Nachmittag lernen wir zusammen, er kommt zu mir, ich zeige ihm in Vaters Bibliothek die Abstammung des Menschen [ …] sage Juliska, dem Fräulein, Bescheid, sie soll uns einen feinen Imbißbereiten, mit Eingewecktem und Milchbrot …«
Auch noch ein anderes Mitglied der Clique wird da gestreift, scheu und behutsam in einem Nebensatz, als hätte der Autor Ernő s tragisches Vorbild nicht zum Leben erwecken wollen:
»[ …] später dann, im Krieg, mit siebzehn, schloß ich mich dem anderen [der Clique] an, dort war der Einsatz bereits hoch, und einer von uns zahlte
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