Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
Vom Netzwerk:
Pfandleiher redet. Die anderen wagen überhaupt nicht, mit ihm zu sprechen. Havas ist Amadés Freund. Wenn sie dem Pfandhausbesitzer auf der Straße begegnen, sehen sie weg, senken den Blick.
    Im geschäftlichen Umgang ist Havas sachlich und höflich. »Bitte den Gegenstand. Schreiben Sie, Fräulein: eine Damen-Uhrkette in Gold, 80 Gramm, Schätzwert 120, Vorschuß 100, Regie und Zinsabzug 4,60, hier bitte 95,40, der nächste bitte.« Er blickt nicht hoch. Auch hat er nicht aufgeschaut, als Tibor das Silber hinbrachte. Das berühmte Familiensilber der Prockauers mit Monogramm. Edler von Prockauer. Der Schauspieler hat am Vormittag mit ihm gesprochen. Die Mutter war zur Untersuchung für zwei Tage ins Krankenhaus gebracht worden. Das ist nun schon mehr als sechs Monate her. 13. Oktober 1917. Ablaufdatum 13. April 1918. »Schreiben Sie, Fräulein: Silber für 24 Personen, 22 Kilogramm, mit Monogramm. Schätzwert 800. Vorschuß 600.« Er sah nicht auf, seine Hand schob die Summe flink durchs Fenster.
    »Ich zum Beispiel würde nie Schinken zum Nachtmahl essen«, sagt Havas. »Meiner Meinung nach macht es nicht das Essen. Mein Freund Amadé schwört auf Diät. Ich sage mir, was soll dir eine Diät. Kein Dekagramm gebe ich ab, aber der Kopf schmerzt, das Ganze eine Quälerei, man möchte nur immer fluchen. Ich sage, der Körper verlangt eine anständige Nahrung. Und ein wenig Bewegung. Auch die Liebe zehrt. Die Liebe, meine Herren, da habe ich Erfahrung, sie zehrt. Doch wo kommt man heute zu ein bißchen Liebe? Eine Seltenheit. Der Mensch wird bescheiden.«
    »Fettes Schwein«, sagte Ernő und wendet sich ab.
    Sie lachen verlegen. Auch der Schauspieler. Er fletscht sein falsches Gebiß, als habe Ernő etwas Treffliches von sich gegeben. Sie kichern. Ábel wird rot. Es ist etwas Peinliches und zugleich Wohltuendes daran, wie Ernő mit Havas redet. Der Pfandleiher bringt 130 Kilogramm auf die Waage. Ernő weiß: Alles hängt von ihm ab, wenn kein Wunder geschieht; die Gutmütigkeit von Havas entscheidet alles. Tibors Mutter hat noch nicht gemerkt, daß das Silber fehlt. Doch der Oberst könnte jeden Tag auftauchen, könnte Urlaub haben oder als Verwundeter heimkehren, und dann würde alles herauskommen. Gar nicht auszudenken, was mit ihnen passiert, wenn bis dahin das Silber nicht wieder da ist. Der Oberst hat einmal mit bloßer Hand einen Lohnkutscher niedergestreckt. Und es geht nicht nur um das Schicksal von Lajos und Tibor, sondern um sie alle. Wenn das Silber verlorengeht, wenn Havas es nicht verwahren will, bis sie zu Geld kommen, wird der Oberst vielleicht auch nicht davor zurückschrecken, gegen sie alle ein Verfahren anzustrengen. Es muß verhindert werden, daß irgend jemand sich mit ihnen beschäftigt. Was im vergangenen Halbjahr geschehen ist, geht nur sie etwas an, sie allein. Wenn Havas wenigstens noch ein paar Wochen Aufschub gewährt. Bis sie die Grundausbildung hinter sich haben. Gut, die Sache mit dem Silber hätte auch so geregelt werden müssen. Der Oberst konnte sie sogar bis an die Front verfolgen, bis in den Schützengraben, und ihnen selbst im Kugelhagel noch mit dem Ochsenziemer zusetzen. Denn die Macht der Väter ist grenzenlos.
    Ernő spricht mit Havas so, als sei es für ihn eine große Erniedrigung, den Pfandleiher überhaupt anzureden. Der aber nimmt es hin. Ernő hat Gewalt über den Mann. Und keiner weiß, warum. Vielleicht hat er Informationen über den Pfandhausbesitzer, kennt seine schmutzigen Geschäfte, ahnt etwas von Wuchergeschichten. Ernő wendet sich immer ab, wenn Havas zu ihnen tritt, setzt eine Leidensmiene auf, als müsse er vor einem ekelerregenden Bild gegen Übelkeit kämpfen. Der Pfandleiher tut so, als ob er nichts bemerke und die beleidigenden Worte nicht höre. Er beeilt sich, bei allem, was Ernő sagt, Einverständnis zu zeigen. Ständig lächelt er. Dabei sträuben sich die Haare auf seiner Oberlippe. Tibor sagt, Havas habe Angst vor Ernő.
    Der Schauspieler träumt vor sich hin und reißt gelegentlich seinen Blick jäh zur Seite. »Alles in Ordnung«, sagt er zu Tibor. »Havas ist mein Freund, und er weiß, daß ihr anständige Kerle seid. Aufgrund der Vorschriften ist er auch gar nicht verpflichtet … Er wird nichts fragen.«
    Havas hat nichts gefragt. Das Geld ist, wie alles Geld in diesen Monaten, unbemerkt dahingegangen, Béla aber haben sie damit gerettet. Amadé ist in Verlegenheit, auch er hat etwas von diesem Geld bekommen. Jetzt schweigt er. Lächelt. Er kann

Weitere Kostenlose Bücher