Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
Vom Netzwerk:
so starr lächelnd vor sich hin glotzen, als habe er Glasaugen. Sein blauweißes Doppelkinn sitzt steif im Kragenausschnitt, und seine Stirn glänzt wächsern wie Porzellan. Ein Zahnstocher hängt ihm von der Lippe, und mit glasigen Augen stiert er in die Ferne.
    Der Pfandleiher fummelt eine neue Zigarre in seine Spitze. Sie messen sich mit eisigem Lächeln. Der Schauspieler zuckt kaum merklich die Achseln. Beide lächeln.
    »Der Herr Ernő hat ganz recht«, sagt Havas. »Ich bin ein fettes Schwein. Habe mich daran gewöhnt. Was soll ich machen? Ich bin fett, fett, ja. Soll ich mich quälen? Ich bin ein Dicker, der viel ißt und deshalb fett ist. Amadé zum Beispiel ist ein Dicker, der gar nichts ißt und trotzdem fett wird. Die Zellen, meine Herren. Die Zellen vermehren sich, die Fettzellen. Ich sterbe, wenn ich nicht anständig esse. Ein gutes, fettes Stück Schweinernes, im Ganzen gebraten, mit rescher Kruste, dazu Kartoffeln auf Zwiebeln geröstet und Gurkensalat, und die krosse Schwarte zwischen den Zähnen richtig krachen lassen, das muß ich haben. Oder die Langoschfladen mit Kraut. Ich habe mich meinem Schicksal ergeben und bitte, mich so zu akzeptieren.«
    Alle sehen ihn an, und Ábel entdeckt das gequälte, verbindliche Lächeln auf Tibors Gesicht, das ihm so gefällt. Etwas wie Ergriffenheit und Zurückhaltung ist in diesem Lächeln, Noblesse. Tibor tut so, als ob er in höflicher Nachsicht darüber hinwegsehen würde, daß Havas fett ist. Béla glotzt mit Fischaugen auf ihn, als sähe er ihn zum ersten Mal.
    Ernő zieht eine abschätzige Grimasse. »Stellt euch vor …«, sagt er voller Abscheu.
    »Wenn ich mich ausziehe«, fährt Havas ruhig und ernst fort. Nimmt einen tiefen Zug aus der Zigarre. Nickt mit dem Kopf. »Ja, es ist erschreckend. Ich trage nämlich ein Korsett. Kein ausgesprochenes Korsett, mehr eine Bauchbinde. Wenn ich mich ausziehe, rutscht plötzlich mein ganzer Bauch hinab.«
    Er läßt seine Blicke ruhig und interessiert über die Gesellschaft schweifen. Der Schauspieler räuspert sich. »Bleibst du bei uns, Emil?«
    Der Pfandleiher erhebt sich langsam. Drückt sich den Hut auf den Kopf, weit nach hinten auf den Scheitel, glänzend fette Tropfen stehen ihm auf der Stirn. »Danke verbindlichst für die Einladung«, sagt er leise. »Kann aber heute nicht bei den Herren bleiben.«
    Tibor rührt sich jetzt plötzlich auf seinem Stuhl. »Morgen möchte ich gern mit Ihnen sprechen, Herr Havas.«
    Die Äuglein des Pfandhausbesitzers verschwinden hinter den geschwollenen Augenlidern. »Wann immer Sie wünschen, Herr Prockauer.«
    »Nicht im Pfandhaus.«
    »Bitte«, sagte Havas, »dann um zwei in meiner Wohnung, wenn’s genehm ist.«
    Havas sieht sich um. »Vielleicht«, sagt er, »vielleicht kommt auch Herr Ábel dazu.«
    Ábel läuft rot an. Tibor dreht den Kopf weg. »Ich komme mit«, erwidert er schwach.
    Der Pfandleiher nickt, als sei es für ihn selbstverständlich. Er gibt keinem die Hand.
    Als er fort ist, fällt Tibor zurück auf seinen Platz und reibt sich die Augen.
    »So, jetzt lassen wir eine zünftige Fete steigen«, sagt der Schauspieler.
     
     

 
2
     
    ~
     
    Die Stadt, sie schlummert zwischen den Bergen, in Watte gepackt, ihre drei Türme weisen gleichgültig zum Himmel, die Häuser haben Elektrizität und fließend Wasser, am Bahnhof rangiert eine Lokomotive, schickt einen langgezogenen Pfiff in den Äther. Drei Berge rahmen das Städtchen ein, sie bergen ein wenig Kupfer und etwas Magnesit. Ein Fluß durcheilt die Stadt, ein flinkes Bergflüßchen, die Luft ist scharf und klar und durch nichts verunreinigt, der Wald kriecht als dichter Bewuchs die Hänge hoch. Auf dem Gipfel des höchsten Berges hält sich lange im Jahr der Schnee, das erfüllt die Bürger mit Stolz, verleiht es ihrer Stadt doch ein alpenländisches Flair. Vom Bahnhof führt eine schmächtige Trambahnlinie zum Hauptplatz hinein. Die Häuser sind schmal und kleben eng aneinander, denn die Stadt war einstmals eine Burganlage, schon seit Urzeiten leben Menschen hier. Das Ordenshaus ist gelb getüncht, am Abend und am Morgen sieht man die Mönche, wie sie in Sandalen, die braunen Kapuzen tief ins Gesicht gezogen und den Rosenkranz an der mit einem Strick umgürteten Taille, zur Andacht in ihre Kirche hinübereilen. Die Fassade des Bischofspalais beherrscht ein schmiedeeiserner breiter Erker mit spätbarocken Schnörkeln und einer Fahnenstange darüber. Der Bischof macht mit seinem Sekretär den obligaten

Weitere Kostenlose Bücher