Die jungen Rebellen
wird eines Tages in irgendeiner Großstadt leben und das Wort »Weltkrieg« aussprechen, sich dabei jedoch an nichts anderes erinnern als an Tibor oder an Amadé, an eine gewisse Beklommenheit und Neugier. Und die Vaterstadt ist nicht ein Kirchturm und auch kein Platz mit Springbrunnen, sie ist kein Ort des blühenden Handels und der Industrie, sondern vielmehr ein Torgang, in dem man zum ersten Mal einen bestimmten Gedanken verfolgte, sie ist eine Bank, auf der man gesessen und etwas nicht verstanden hat, der Augenblick im Fluß, unter Wasser, als man in die Erinnerung an eine frühere Existenz zurückzutauchen meinte, ein schöngeschliffener Kieselstein, den man in der Schublade entdeckt, ohne noch zu wissen, warum man ihn aufgehoben hat, der Hut des Religionslehrers, der von einem braunen Fleck verunziert war, die Beklemmung vor einer Geschichtsstunde, ein ungewöhnliches Spiel, das keiner versteht und das man sich zu erklären geniert, eine Lüge, von deren Folgen man ein Leben lang träumt, der Gegenstand in der Hand eines Menschen, ein Laut, den man nachts durchs offene Fenster gehört hat und nicht vergessen kann, die Beleuchtung eines Zimmers, eine Troddel am Saum eines Vorhangs. Auch der Krieg ist nicht ganz so, wie man ihn sich vorgestellt hat.
Ábel wird einst seine Enkel nicht auf den Knien reiten lassen, wenn er ihnen vom Krieg erzählt, weil auch er in seinen Nerven Angst und Beklommenheit aus dem Krieg bewahrt hat, aber diese Angst bedeutet Tibor, diese Beklemmung bedeutet Amadé.
Sechzigtausend Seelen leben in der Stadt, und es gibt sogar einen Tennisplatz. Jetzt schläft die Stadt, der Bürgermeister ist herzkrank, liegt auf dem Rücken in seinem Bett, ein Wasserglas auf dem Nachtkästchen, im Glas das Gebiß, die Väter in ihren muffigen Schlafzimmern liegen in Nachthemden an der Seite der Mütter, und sie haben Gewalt über alles. Im Wald oberhalb der Stadt erwachen die Tiere.
Der Schauspieler sagt: »Leider kennt ihr den Wodka nicht mehr. Vom reinen, echten Wodka sah der Mensch alles in Blau.«
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Mit dem Klauen fingen sie erst im November an.
Es gab im Leben der Clique eine kurze Zeit, in der sie sich auch ohne Geld ausgezeichnet amüsierten. Ort ihrer Zusammenkünfte war meist Tibors, manchmal Ábels elterliche Wohnung. Bei Ábel konnten sie, wenn sie sich einigermaßen ruhig verhielten und abwarteten, bis die Tante eingeschlummert war, auch nachts bleiben. Geld wurde erst unverzichtbar, als die Realisierung ihrer Experimente und Unternehmungen schon komplizierter war.
Béla hat als erster gestohlen.
Er war es auch, der Ausreden und Erklärungen suchte und sich bemühte, seine Taten zu entschuldigen. Niemand hatte ihn zum Stehlen überredet, doch als er anfing, sich dafür zu rechtfertigen, schmähten ihn alle, ohne sich abgesprochen zu haben. Béla nahm aus der Kasse des Vaters dreißig Kronen, um sich ein Paar handgearbeitete dunkelbraune Halbschuhe mit Doppelsohle zu kaufen, die ihn in der Auslage eines neueröffneten Schuhladens so sehr in Versuchung geführt hatten. Er erstand die Schuhe und nahm sie mit zu Tibor, wo er sie anprobierte und damit eine halbe Stunde im Zimmer umherhumpelte. Auf die Straße traute er sich mit den Schuhen nicht, schon der Gedanke, sein Vater könnte ihm begegnen und dann vielleicht der Herkunft dieser Neuerwerbung auf den Grund gehen, versetzte ihn in Panik.
Gegen Ende des Krieges, als die Handlungsgehilfen schon eingezogen waren und die Lehrlinge deren Stellen einnahmen, machte es die Personalsituation möglich, daß Béla, ohne aufzufallen, kleinere, später größere Summen aus der Geschäftskasse abzweigte. Am Nachmittag, wenn der Vater sein halbstündiges Schläfchen hielt, konnte Béla im Halbdunkel des Geschäfts unbemerkt ins gläserne Büro eindringen, wo der Vater in seiner Schreibtischlade die Tageskasse verwahrte. Die Tageseinnahmen waren zu beträchtlich, als daß die entwendeten zehn oder zwanzig Kronen aufgefallen wären.
Béla arbeitete schnell. Er kaufte sich ausgefallene Kleidungsstücke. Es gab damals auch dünnhäutige Jammerlappen. Ein Schwager von ihm, der Bezirksrichter war, erhängte sich im dritten Kriegsjahr am Fenstergriff, weil er Angst hatte, mit seiner Frau und den Kindern zu verhungern. Die mühlradgroßen Käselaibe, die Heringsfässer, die mit Weizen, Reis, Kartoffeln und Sardinen vollgestopften Kellergewölbe unter den Geschäftsräumen des Schwiegervaters konnten ihn nicht beruhigen, bei ihm und seiner Familie
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