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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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brach die Zwangsvorstellung vom bevorstehenden Hungertod aus.
    Béla, der zu Hause bei Tisch und im Geschäft auch in diesen Kriegszeiten wählerisch in Leckerbissen herumstochern konnte, hatte keinen Spaß an den Spezereien des väterlichen Kana. Er ging mit dem geklauten Geld in andere Kolonialwarenläden und kaufte verstohlen Ostseeheringe, Türkenbrot, Sardinen und Sardellen zum Wucherpreis aus dem Warensortiment, das sein Vater an die Geschäfte geliefert hatte.
    Wie sich einfache Gemüter vor Naturkatastrophen fürchten, so quälte Béla die Angst vor dem Vater. Schon wenn er seinen Namen hörte, wurde er blaß und fing an zu zittern. Oberst Prockauer lebte in der Vorstellung der Clique wie die Nemesis der Griechen, die plötzlich hereinbricht, alles vernichtet und nur verwüstete Felder und Ruinen zurückläßt. Bélas Vater dagegen war neben einem solchen schicksalhaften Unheil gewissermaßen das Alltagsverhängnis, der ganz gewöhnliche Unfall ohne jede Dramatik. Seine knochige Hand fiel stets unerwartet auf den Sohn nieder, mit kurzen, kräftigen Püffen und der kühlen Präzision von Herzkranken, die methodisch ohrfeigen, um sich – im Interesse der Familie – nicht zu erregen. Eines Tages schleuderte er einem Lehrling ein Beil hinterher, eine Art großes Hackmesser, das sonst mit seiner glitzernden Schneide am Ende der Theke in einen Schweizer Käse versenkt war.
    Lange Zeit war es nur Béla, der klaute. Und sie achteten auch darauf, daß nur er das Geld ausgab. Die vom gestohlenen Geld gekauften Delikatessen mußte Béla vor ihren Augen verzehren, die Clique half dabei nicht mit. Ernő saß dem Dieb gegenüber und kontrollierte mit strengem Blick und unbeweglich, bis Béla mit prallen Backen und herausquellenden Augen auch den letzten Bissen verdrückt hatte.
    Die erstandenen Kleidungsstücke verwahrte er in Tibors Wohnung. Und auch noch ganz andere Gegenstände kaufte er ein, ein doppelläufiges Jagdgewehr, eine stark vergrößernde Lupe, einen riesigen Globus aus Pappmache, zwei lederne Schienbeinschützer mit feinen Riemen und einen Browning-Revolver. Als er das Fahrrad erwarb, mit dem er nie fuhr, weil er damit nicht fertig wurde und Angst hatte, jemand könnte ihn sehen und dem Vater davon erzählen, da war der Augenblick gekommen, daß über einen Lagerraum entschieden werden mußte. Die Gegenstände häuften sich, Tibor, der selbst verängstigt war, weil der Oberst jederzeit heimkommen konnte, traute sich nicht mehr, die Rolle des Hehlers zu spielen. Die Sachen mußten weggeschafft werden.
    In der ersten Zeit trieben sie mit Béla ihr Spiel. Und der fügte sich mit verlegenem Grinsen ihren Befehlen. Innerhalb von zwei Tagen mußte er das Zubehör für ein gewaltiges Feuerwerk zusammenkaufen, am Abend warfen sie es dann nach und nach in den Fluß. Die besten Einfälle kamen von Ernő. Zum Beispiel der, daß Béla für einen Blumenstrauß sechzig Kronen stiehlt und die Blumen dem Prior des Ordens bringen läßt. Der Pater nahm das Geschenk, wie der Bote berichtete, mit großer Irritation in Empfang, wurde in seiner Verwirrung tiefrot und verbeugte sich unbeholfen; ratlos stand er da mit dem Riesenbukett.
    Bei Ábel spielten sie lange Zeit nicht nur Karten, sondern amüsierten sich auch mit anderen Dingen. Sie erzählten sich leidenschaftliche Geschichten und sensationelle Lügenmärchen. Dabei mußte beispielsweise so angefangen werden: »Heute nachmittag, als ich am Theater vorbeiging, kam ein Schiffskapitän auf mich zu.« Die Stadt lag Tausende von Kilometern vom Meer entfernt. In der Fortsetzung war der Schiffskapitän glaubhaft zu machen, also zu berichten, wie und warum er in die Stadt gekommen war. Die wunderbare Geschichte sollte aus Details, aus kontrollierbaren, wahrscheinlichen Elementen der Wirklichkeit bestehen und durch Augenzeugen, die dort oder in der Nähe wohnten und das jeweilige Ereignis bestätigen konnten, beglaubigt werden. Der Kern der Geschichten war meist unfaßbar, doch die Einzelheiten sollten einfach und überzeugend sein.
    Sie gingen immer zu viert nebeneinander. Nahmen so die ganze Breite des Gehsteigs in Anspruch und schlichen zu den verschiedensten Stunden des Tages durch die Nebenstraßen wie ein geplagtes Kommando, das unter harter Belastung stand. Ernő und Ábel sorgten dafür, daß sich ihre Aktionen noch im Rahmen des »Interessanten« und des Unwahrscheinlichen bewegten. Wählerisch wiesen sie banale Einfälle zurück. Nach einigen Wochen des Zusammenspiels

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