Die jungen Rebellen
hypnotisieren. Der Erlös sollte »einem guten Zweck« zugeführt werden. Über diesen aber hatten sie eine höchst eigenwillige Auffassung: Der erlöste Betrag wurde beim Juwelier der Stadt umgesetzt; sie kauften ein kleines Goldkettchen, zahlten nach längerem Feilschen den Preis und vergaßen die Ware auf der Theke, sie gingen auch nie wieder hin, um sie abzuholen.
Einmal faßte die Clique den Beschluß, in Zukunft mit ihren Lehrern, die jahrelang ihren maßlosen Quälereien ausgesetzt waren –über die stille Übereinkunft zur gegenseitigen und uneingeschränkten Peinigung zwischen Schülern und Lehrern hinaus –, aufmerksam und nachsichtig umzugehen. So saßen sie mit verschränkten Armen, still, andächtig und aufmerksam im Unterricht. Béla stürzte von Zeit zu Zeit aus der letzten Bank nach vorn, um den Klassenvorstand mit kleinen Aufmerksamkeiten zu überhäufen. Gelegentlich taten sie sich zusammen, um durch Fleiß und gezielte Vorbereitung einen Lehrer in dieser oder jener Unterrichtsstunde mit erstaunlicher Stoffkenntnis zu verblüffen; sie zeigten sich weit über das geforderte Pensum hinaus informiert oder lösten dadurch Überraschung aus, daß sie ihre Mitschüler zur Ordnung riefen und zur Disziplin ermahnten. Die Klasse beobachtete das Ganze mit Argwohn, doch das kümmerte sie wenig. Standen ihnen doch viel amüsantere Möglichkeiten zu Gebote als diesen Grünschnäbeln, die über die uralten, primitiven, die Lehrer reizenden Schülerspäße noch nicht hinausgekommen waren: Sie konnten höflich sein, unermüdlichen Fleiß mimen und mit einwandfreiem Benehmen die mißtrauischen, gequälten, aber schließlich doch entwaffneten Pädagogen besänftigen. Das machte mehr Spaß als derber und aufmüpfiger Ulk. Der Klassenvorstand sah sich vor Weihnachten gar genötigt, Béla und Tibor, die bekehrten Schäfchen, erfreut als Vorbilder zu preisen.
Béla konnte seinen Übermut nicht zügeln. Er besorgte sich Nachschlüssel und Gummihandschuhe, deren es überhaupt nicht bedurft hätte, denn die Tageskasse seines Vaters stand ihm uneingeschränkt zur Verfügung. Und mit Geld wußte er nichts mehr anzufangen. Die Clique hielt hartnäckig am Prinzip der Uneigennützigkeit fest, so gingen die täglich abgezweigten zehn, zwanzig Kronen für Nutzloses weg. Béla hatte zwei Leidenschaften: Parfümeriewaren und Mode. Nach längerem Betteln erlaubten sie ihm schließlich, sich zwei elegante Anzüge nach letzter Mode schneidern zu lassen, dazu ein Seidenhemd mit feiner Krawatte, hirschlederne Handschuhe und Lackschuhe mit Antilopenlederbesatz zu erstehen. Weiter kaufte er sich einen hellen weichen Filzhut und ein leichtes Bambus-Spazierstöckchen. Einmal pro Woche durfte er sich in Tibors Wohnung »verkleiden«, und die Mitglieder der Clique reichten ihm die einzelnen Kleidungsstücke zu; unermüdlich bemüht war beim Hübschmachen der Einarmige. Wenn Béla so in seinem Staat mit Hut und Handschuhen, den Bambusstock überm Arm, vor dem Spiegel stand, sie ihn wie das Vorführmädchen eines Modesalons im Zimmer auf und ab marschieren ließen, kommentierten die anderen die Modenschau mit süffisanten Bemerkungen. Schließlich setzte Béla sich zähneknirschend auf einen Stuhl vor dem Spiegel und betrachtete lange sein Ebenbild. Dann zog er sich langsam aus, Tibor übernahm die Kleidungsstücke und verschloß sie sorgfältig in seinem Schrank. Béla schlüpfte danach wieder in sein schäbiges Schülerhabit, dessen Hose man ihm aus abgetragenen und gewendeten Beinkleidern des Vaters hatte zurechtschneidern lassen.
Der Leidenschaft für Parfümerien konnte er sich nur verstohlen, ohne Wissen der Clique, hingeben, seine Schwäche für Haarpomade, Duftwässer, Gesichtscremes, Kämme und Seifen fand bei den anderen kein Verständnis. An der teuren Salbe, die er zur Behandlung seiner Pickel erstanden hatte, durfte er sich nicht freuen; die Mitglieder der Clique zogen ihm gewaltsam die Hose runter und salbten mit dem Mittel, welches Warzen und Pickel innerhalb von Tagen zum Verschwinden bringen sollte, sein Hinterteil.
Der Widerwille, den Zweckdienlichkeit und Brauchbarkeit von Dingen bei ihnen auslösten, führte zu komplizierten »Opfern«. So galt es zum Beispiel als lobenswerte Tat, in mehrtägiger Mühe und Plackerei zehn Zeilen Text aus einem schwedischen Buch, also in einer Sprache, die hier keiner verstand, auswendig zu lernen. Mit einem solcherart gebüffelten Text fand Ábel ungeteilte Anerkennung. Zugleich aber
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