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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Öllämpchen bestückten Lüster beschworen Erinnerungen an die Annabälle von einst mit ihrer reichen Blattgründekoration herauf. An den Fugen zwischen Wand und Fußboden wucherte der Schimmelpilz. Im Sommer, bei großer Hitze, verirrten sich noch gelegentlich Ausflugsgesellschaften hierher. Im schwach belaubten, kiesbedeckten Wirtsgarten fanden sich auch jetzt umgelegte Tische, und ringsum auf halbverfaulten Holzpfählen gähnten die leeren Blechbehälter der Laternen. Alles klebte vor Feuchtigkeit und Tristesse. In dieser Verwahrlosung spiegelte sich eine Art menschlicher Schicksalhaftigkeit.
    Nein, im Herbst komme niemand hier heraus, sagte der Pächter, ein älterer Mann mit slawischem Akzent, der sich schon seit mehr als einem Jahrzehnt mit dieser Anlage abplagte, die bei einer Versteigerung an ihm hängengeblieben war. Er berichtete, daß vor mehreren Jahren, noch in Friedenszeiten, häufig Pärchen aus der Stadt kamen. Über sein müdes, bedrücktes Gesicht huschte ein Lächeln beim Gedanken an die heimlichen Schäferstündchen, die unter seiner Patronage stattfanden. Damals hatte er in der oberen Etage die drei Gästezimmer eingerichtet. Doch diese fröhliche und pikante Konjunktur war mit Ausbruch des Krieges zu Ende gegangen. Heutzutage, pflegte er zu sagen, hielten es Paare nicht mehr für nötig, es im Verborgenen zu machen. Die Zimmer stünden seit Jahren leer. Es wäre keine Schwierigkeit, oben ein, zwei Eisenöfen aufzustellen. Er und seine Frau blieben den Winter über hier draußen.
    Die Clique nahm es mit unsicherem Gemurmel zur Kenntnis. Sie kauten lustlos an der ranzigen Salami, dem Liptauerkäse, tranken Bier und starrten vor sich hin. Der Einarmige begann stotternd mit Erklärungen, keiner hörte hin. Ábel empfand leichtes Herzklopfen. Sie spürten, ohne darüber Worte zu wechseln, daß dies die Wende war. Béla sagte, leicht erstaunt über die Entdeckung, mit vollem Mund: »Na, so was.« Alle bedauerten, diesen Platz nicht schon früher entdeckt zu haben. Wie sehr hätte dieses stille Refugium das ganze Versteckspiel und die Jahre der Erniedrigung erleichtert! Stumm, im Gänsemarsch, stiegen sie alle die klapprige Holztreppe hoch. Die Zimmer waren gezeichnet vom Trübsinn vieler Jahre. Die Fenster
    schauten auf den Fichtenwald. Die Betten wirkten nackt, ohne Bezüge und Decken wie an die mit Spinnweben überzogene Wand geklebt. Überall hatten Mäuse ihre zerstörerischen Spuren hinterlassen. Auch der Tisch war voller Mäusedreck.
    »Vorzüglich«, sagte der Einarmige. »Hier kann man nicht mehr wohnen.«
    Vorsichtig, mit spitzen Fingern, nahm er einen verstaubten Schildpattkamm vom Nachtkästchen. Der verschmutzte Gegenstand rief die lustvolle Illusion eines längst vergangenen Abenteuers wach. Sie betrachteten ihn mit glänzenden Augen. Und die Überzeugung, daß hier ein Wohnen nicht mehr möglich war, gab ihnen das Recht, die Räume in Besitz zu nehmen.
    Béla war es, der den Preis für die zwei Zimmer aushandelte. In der darauffolgenden Woche machten sie sich in aller Umständlichkeit daran, die Übersiedlung durchzuführen. Der Pächter glaubte, die jungen Herren suchten ein Nest für ihre heimlichen Stelldicheins. Schon in der ersten Woche mußte er feststellen, daß er sich getäuscht hatte. Täglich trafen Lieferungen ein, das Fahrrad tat als Transportmittel seine Dienste. Jeden Tag erschien ein anderer junger Mann mit einem Rucksack voll sonderbarer Gegenstände, deren Zweck man sich nur schwer erklären konnte. Hätte er nicht gewußt, daß es sich hier um Schüler handelte, zudem um die Söhne des Obersten Prockauer und ihre Kameraden, wäre er vielleicht beunruhigt gewesen. So aber hegte er keinerlei Befürchtungen. Der jeweils Ankommende verschwand oben im Zimmer, drehte den Schlüssel um und kramte drinnen endlos in dem Durcheinander. Sobald er gegangen war, machte sich der Pächter behutsam zur Besichtigung auf, doch die merkwürdigen Kleidungsstücke, der riesige Globus, die harmlosen Bücher verrieten überhaupt nichts Verdächtiges.
    Die Clique ließ nun vom Prinzip der Uneigennützigkeit ihrer Aktionen ab. Das Bewußtsein, einen Schlupfwinkel zu haben, einen Platz, wo sie frei schalten und walten konnten, einen Raum, der sich abschließen ließ, hatte nach und nach die Vorsichtigen leichtsinnig gemacht. Ganze Nachmittage verbrachten sie in dem muffigen Gelaß, neben dem überheizten Eisenofen und bei atemberaubend dichtem Tabaksqualm, diskutierend und ihren

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