Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
Vom Netzwerk:
behauptet, daß die Reichen … Stimmt nicht: Es gibt einen anderen Feind, einen, der viel gefährlicher ist. Egal, ob reich oder arm.«
    Er wölbte seine Hände vor dem Mund zu einem Trichter: »Sie alle!« zischte er bleich.
    »Auch aus uns werden Erwachsene«, sagte Ernő ernst.
    »Vielleicht. Doch bis dahin wehre ich mich. Das ist alles.«
    Sie kauerten sich aufs Bett. Ábels Gesicht glühte. Tibor rückte zu ihm hin. »Denkst du«, fragte Tibor ruhig und mit großen Augen, »daß man sich gegen uns wird wehren können?«
     
    ~
     
    Im Frühjahr fanden sich im Arabesque bereits Gäste ein. Und so wurden sie mit ihren Zusammenkünften vorsichtiger. Ein-, zweimal pro Woche aber flüchteten sie hinaus, und nur am Sonntag kamen sie für den ganzen Tag. In das Gartenlokal verirrten sich dann und wann ein paar Ausflügler.
    Was bisher geschehen war, betrachteten sie so sehr als ihre Sache, daß sie kein schlechtes Gewissen hatten. Die andere Welt mit ihren Strukturen, Gesetzen und ihren Kontrolleuren ging dies alles nichts an. Die »andere Welt« bedeutete für sie, daß sie nicht öffentlich rauchen durften, wie ganz nebenbei auch den Weltkrieg. Beeinträchtigungen, die sie wegen dieser Welt zu erdulden hatten, brachten sie gleichermaßen auf; ob es darum ging, daß man ohne Brotmarken nicht an Brot kam, daß der Lateinlehrer ungerecht zensierte, daß von den Männern der Familien einer gefallen war oder daß man ohne Erlaubnis eines Lehrers keine Theatervorstellung besuchen durfte. Sie empfanden, daß das Regime, das sie verfolgte, sie bremste, bei harmlosen Vorkommnissen mit gleicher Strenge zuschlug wie bei großen Vergehen. Es fiel ihnen schwer, zu entscheiden, was sie mehr schmerzte. Daß sie Erwachsene auf der Straße untertänig zu grüßen hatten, war für sie ebenso unerträglich wie die Wahrscheinlichkeit, in einigen Monaten dem ausbildenden Unteroffizier salutieren zu müssen.
    In diesem Frühling waren ihnen die Maßstäbe abhanden gekommen. Es läßt sich nicht genau feststellen, wann aus dem Spiel Ernst geworden war. Lajos ging seiner einsamen Wege, und sie beobachteten es nicht ohne Argwohn. In mancher Hinsicht zählte Lajos zu den Erwachsenen. Er konnte tun und lassen, wozu er Lust hatte, und war aus der Erwachsenenwelt zu ihnen übergelaufen, ihm stand es aber auch frei, jederzeit zu den Feinden zurückzukehren. Er trug wieder seine Fähnrichsuniform und verbummelte ganze Tage in der Gesellschaft des Schauspielers. Als würden ihn die Zusammenkünfte im Arabesque langweilen. Er ging auch wieder ins Kaffeehaus. Die Clique beriet schon darüber, ob sie ihn ausschließen sollte. Doch der Einarmige kam ihnen zuvor und stellte den Kameraden zum Frühlingsanfang den Schauspieler vor.
    Die Vorstellung erfolgte in Tibors Zimmer. Der Schauspieler gewann auf Anhieb ihr Vertrauen, denn gleich beim ersten Besuch kletterte er aus Höflichkeit mit ihnen durchs Fenster ins Zimmer.
    Mittelpunkt der Clique war Tibor; ihm zuliebe waren sie zusammen. Ihm brachten sie Opfer. Als sie das Prinzip der Uneigennützigkeit aufgaben, bildete sich allmählich eine Art materieller Wettbewerb um Tibors Gunst heraus. Ábel verfaßte ein Gedicht für ihn, traute sich aber nicht, es ihm zu zeigen. Béla war ihm mit Geschenken gefällig. Ernő brachte ihm seine Bücher, putzte ihm die Schuhe und übernahm Trägerdienste für ihn. Tibor konnte bei all diesem Liebeswerben, dem ihm entgegengebrachten Wohlwollen und aufdringlichen Wetteifern höflich und nett bleiben.
    Der jüngere Sohn des Obersten Prockauer war, abgesehen von seinen bereits abklingenden Pickeln, nicht nur in den Augen der Clique ein geheimnisvolles Wesen, die Verkörperung menschlicher Vollkommenheit, wie sie sie sahen, er hatte auch in der Stadt den Ruf eines hübschen und sympathischen Jungen. Tibor, der sich im Laufen, Schwimmen, Reiten, Tennisspielen und mit Leidenschaft im Springen übte, war bei aller sportlichen Jungenhaftigkeit beinahe weich und mädchenhaft. Diesen Eindruck unterstrichen die sehr helle Haut, die blonden, sich in die Stirn ringelnden Locken und die blaugrauen Augen. Den etwas derben, fleischigen Mund, die starken ovalen Hände mit den kurzen Fingern hatte er von seinem Vater. Aber Stirn- und Nasenpartie waren sanft und fein in dem kindlichen Gesicht; die Asymmetrie von unterer und oberer Gesichtshälfte wirkte aufreizend. Es fehlte darin das für die Flegeljahre typische Groteske einer halbfertigen Physiognomie. Als wäre die Entwicklung des

Weitere Kostenlose Bücher