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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Knabengesichts in einem glücklichen Augenblick der Kindheit zum Stillstand gekommen; der Bildhauer hatte die Hand von seinem Werk genommen und zufrieden konstatiert: So soll es bleiben. Tibor würde auch mit dreißig noch knabenhaft wirken.
    In seinem Erscheinungsbild, seinen Bewegungen, in seinem Lachen oder wenn er jemanden anredete, sich für eine Antwort lächelnd bedankte, waren ihm ein irgendwie persönlicher Rhythmus, eine leichte, fast unschuldige Höflichkeit eigen. Im Unterschied zu Béla und Ernő und überhaupt zu seinen Altersgenossen sprach er Obszönitäten nur mit einem gewissen Zaudern aus, als müsse er irgendeinen Widerstand überwinden. Ferkeleien wirkten aus seinem Mund so, als sage er sie nur höflichkeitshalber, aus Rücksicht gegenüber den anderen, die er nicht dadurch demütigen wollte, daß er schwieg, während sie Zoten rissen.
    Er redete wenig. Aus seinem Wesen, seinem Blick sprach eine gewisse Verwunderung. Sagten Ábel oder Ernő etwas, wandte er sich neugierig ihnen zu und konnte mit großen Augen hingebungsvoll lauschen; er stellte erstaunte und ganz einfache Fragen und dankte für die Antwort stets mit einem Lächeln. Man wußte nie ganz genau, ob seine Aufmerksamkeit ehrlicher Neugier oder der sein ganzes Wesen durchdringenden Höflichkeit entsprang. Vor Büchern hatte er Angst, und wenn Ábel das Erlebnis einer Lektüre mit ihm teilen wollte, konnte er ein Buch mit seltsamem Befremden in die Hand nehmen, wie irgendeinen komplizierten oder irgendwie unsauberen, bei Berührung unerquicklichen Gegenstand, den er wirklich nur anfaßte, um dem Freund einen Gefallen zu tun.
    Er lebte mit und unter ihnen, nahm für keinen Partei, bewegte sich in ihrer Mitte mit der Geduld eines gütigen, noblen Potentaten und der etwas unklaren Ahnung, daß sein Platz bei ihnen war, da ß ihn seine Herkunft und sein Schicksal diesen ungeduldigen und netten Höflingen gegenüber zu permanenter Repräsentation zwangen. Etwas unsicher empfand er, daß die Clique sein Schicksal war, dem er nicht ausweichen konnte, und wie Schicksale es nun einmal an sich haben, ist auch dieses ein wenig simpel und schmerzlich. Die Jungen, von denen er täglich nur während der Schlafenszeit getrennt war und mit denen ihn eine Kraft verband, deren Sinn und Ziel er nicht durchschauen konnte, die ihn aber komplizierter als jede andere menschliche Bindung mit ihnen verknüpft hat, waren, genaugenommen, gar nicht nach seinem Geschmack. Diese Form des Rebellierens, die sie unter einem unverständlichen, unsichtbaren und gewaltsamen Druck gewählt hatten, paßte ihm eigentlich nicht. Das Milieu, die chaotische Ordnung, die unbekannte und dennoch unerträgliche, zersetzende Ordnung der Außenwelt lösten auch in ihm Widerstand aus, doch eine konkretere, einfachere, handfestere Form des Aufbegehrens wäre ihm lieber gewesen. Das, was sie taten, fand auch in ihm Widerhall, und er konnte sich dem aufreizenden Zauber, dem absoluten Protest nicht entziehen, der ihre Spiele durchdrang und deren Kraftquelle vielleicht Ábel, vielleicht Ernő war. Er spürte, daß ihm einfachere Lösungen mehr gelegen hätten. Tibor konnte sich beispielsweise vorstellen, vor der Kirche ein Maschinengewehr aufzustellen und damit zur Selbstverteidigung zu schreiten; und hätte ihm einer vorgeschlagen, eines Nachts bei starkem Wind die Stadt anzuzünden, so wären ihm bestenfalls im Hinblick auf die Probleme bei der praktischen Ausführung Bedenken gekommen.
    Diese Jungen, die ihn in einem unerwarteten Augenblick mit unglaublicher Eile umfangen hatten – ganz nach seinem Geschmack war diese Garde nicht. Dies jemandem zu gestehen wagte er jedoch nicht. Man mußte die Bürde dieser Clique auf sich nehmen, auf Leben und Tod, denn auch die Clique ihrerseits hatte die Bürde seiner Person auf sich genommen. Der Geist des Vaters, der gefilterte, kaum noch erkennbare Rest eines militärischen Geistes, war noch wirksam in ihm. Alle für einen, einer für alle. Dieser eine war er.
    Mit quälender Sehnsucht schaute er manchmal auf andere Gruppen und Kameradschaften, bestaunte die Abenteuer der anderen Klassenkameraden, die alle Unlust, jeden Protest gegen die Bürde dieser Weltordnung so lässig auslebten, mit wilden Spaßen, in sportlichen Spielen, vor allem in der Ertüchtigung des Körpers. Für Tibor gab es nichts Schöneres als sportliche Bravourstücke. Die Clique lehnte diese Art Leistung, wie auch jede Tätigkeit, die irgendeinem praktischen Zweck diente, mit

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