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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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mehr, als sich bei längerem Insistieren herausstellte, daß an dieser angeblich peinlichen Erinnerung überhaupt nichts Pikantes war. Es erschien ihnen eher zum Lachen; doch er konnte nur schwer, sich heftig windend, darüber reden.
    »Wir wohnten im ersten Stock«, berichtete er errötend und gequält. »Dreht euch weg.«
    Und als wäre dieser Anfang das Allerschwerste gewesen, fuhr er jetzt in fiebriger Hast fort. Das Ende ihres Korridors habe zum Nachbargarten hin gelegen. Er sei ein nervöses Kind gewesen, das streng erzogen wurde, und noch im Alter von sechs Jahren konnte ihn ein scharfes Wort so verschrecken, daß er in die Hose machte. Irgendwie habe er die Hose getrocknet, doch die nasse Unterhose, das Beweisstück, habe er einfach zusammengeknüllt und in den Nachbargarten geworfen. Acht Hosen seien auf diese Weise verschwunden. Das Warten auf die Entdeckung seiner Tat, die Vorstellung der unweigerlich folgenden Beschämung und Bestrafung habe ihn in solche Angst versetzt, daß er wieder und immer wieder dieser Schwäche zum Opfer fiel. Und als man die Sache dann schließlich entdeckte und der Vater ihn tüchtig versohlt habe, da sei das für ihn eine so große Erleichterung gewesen, daß er nicht sagen könne, wann ihn ein vergleichbar angenehmes und beglückenderes Gefühl erfaßt habe.
    »Ihr müßt verstehen«, sagte er hektisch und mit heiserer Stimme, »sich zu fürchten hat gut getan. Ich konnte mir die Strafe ausrechnen und erwartete sie. Allmählich hatte ich ausgelernt. Wußte, wofür eine Ohrfeige fällig ist und wofür Schläge oder Fasten, das läßt sich berechnen.
    Das Warten bis die Strafe erfolgte, war schrecklich, aber dann war es gut.«
     
    ~
     
    Ernő redete erst nach längerer Zeit. Er berichtete: »Ihr kennt Vater. Er machte den Hanswurst, der er geworden ist, ganz allmählich aus sich. Auch Lesen lernte er erst im Erwachsenenalter. Zwei Bücher hat er gelesen, die Bibel und die Kleine Schulfibel. Ich schäme mich nicht für ihn. Ihr könnt das Verhältnis, das zwischen ihm und mir herrscht, nicht verstehen. Er hat recht, wenn er so über die Reichen spricht. Reichtum bedeutet nicht, daß jemand Geld hat. Es ist etwas ganz anderes. Ich werde es nie haben, ihr dagegen habt es immer gehabt, vom ersten Augenblick an.
    Zu fürchten begann ich mich, als mein Vater eines Tages vor den Spiegel trat –ich muß noch ganz klein gewesen sein, saß auf einem niedrigen Schemel in der Ecke. Wir hielten in der Werkstatt eine hinkende Krähe, Vater hatte sie einmal mitgebracht und ihr die Flügel gestutzt, sie lebte mit uns. Ich saß also auf dem Schemel und spielte mit der Krähe. Auch mein Vater war in der Werkstatt und arbeitete. Damals hatte er noch keinen Bart, und er hinkte auch nicht. Plötzlich stand er auf, ging, mich völlig übersehend, zur Kommode, nahm den Spiegel ab, schritt damit zum Fenster und betrachtete sich darin. Ich sah ihm stumm zu; nahm die Krähe auf meinen Schoß. Vater griff mit zwei Fingern seine Nase und zog sie hoch, dann fletschte er die Zähne, begann mit den Augen zu rollen, verzerrte den Mund und schnitt Gesichter, so gräßliche Gesichter, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Das tat er lange und völlig entrückt. Ich habe wohl mit großen Augen und offenem Mund zugesehen und zunächst gelacht, doch dann begriff ich plötzlich, daß das alles todernst war. Vater rollte so wild mit den Augen und zog Grimassen, daß ich Angst bekam. Er trat zurück und riß den Mund ganz weit auf, als wollte er in Gelächter ausbrechen. Er kniff die Brauen zusammen und zeigte zornig die Zähne. Da begann ich zu weinen. Er sprang mich an, als würde er erst jetzt gewahr, daß ich in der Werkstatt war. Ich kreischte laut auf, weil ich glaubte, er würde mich töten. Er beugte sich über mich, sein Gesicht war so verzerrt, wie ich Ähnliches nie mehr gesehen habe. Er griff sich mit einer Hand die Krähe, drückte mit der anderen den Hals des Tieres krampfhaft zusammen und warf es vor mich auf den Boden hin. Dann stürzte er davon.
    Die Krähe lag vor mir und gab kein Lebenszeichen von sich. Ich hob sie hoch und begann sie zu streicheln und zu wiegen, weil ihr Körper noch warm war. So fand mich meine Mutter, aber ich habe ihr nie erzählt, was geschehen war. Ich hatte, glaube ich, das Gefühl, daß sie das nicht betraf. In dieser Nacht kam Vater nicht nach Hause. Am Morgen, als er zurückkehrte, hatte er eine Schachtel bei sich, legte die Krähe hinein, nahm mich an der Hand, als ob

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