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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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nichts gewesen wäre, und führte mich in den Hof.
    Hier haben wir die Krähe begraben. Vater hat so sorgsam die Grube geschaufelt, daß ich nicht verstand, auf wen er gestern böse war und warum er meine hinkende Krähe erdrosseln mußte. Aber seither habe ich Angst, wenn ich allein in einem Zimmer bin, wo auch ein Spiegel ist; ich fürchte mich, daß auch ich mich vor den Spiegel stelle und Grimassen schneide.«
     
    ~
     
    Der Frack ließ Tibor ganz weltmännisch aussehen. Manchmal kleideten sich alle in ihre Kostüme. Béla flezte sich, Zylinder und Handschuhe im Schoß, mit seinem roten Frack lässig auf einen Stuhl. In dieser Atmosphäre genügte ihnen das harmloseste Ding, um sich damit zu amüsieren. Nur ein Kind kann stundenlang so hingebungsvoll mit einer Rassel spielen wie sie mit einem Einfall, den ihnen ein Gegenstand, ein Augenblick eingegeben hatte. Sie entdeckten, daß sie alle vier schauspielerische Begabung besaßen.
    Der Einarmige führte leidenschaftlich Regie. Er umriß die Aufgabe mit ein paar Worten und arrangierte sogleich die Szenerie. Sie spielten Richter, Soldat, Familie, Musterung, Lehrerkonferenz, Kapitän auf der Kommandobrücke eines sinkenden Schiffes. Jedes Kind hat eine schauspielerische Begabung. Sie klammerten sich an diese vergessene Fähigkeit, die einzige Entschädigung für die ihnen entgangene Welt, deren sie noch habhaft werden konnten. Diese Welt dämmerte tief unter der vertrauten Welt. Auch Ábel glaubte sich manchmal noch an einzelne Wörter und Szenen daraus zu erinnern.
    Wenn sie sich so gegenüberstanden, in dem Zimmer, »kostümiert«, fern der Stadt, hinter versperrter Tür im beißenden Ofen- und Tabaksqualm, beim flackernden Schein der Kerzen, inmitten der zusammengestohlenen Gegenstände, aneinandergefesselt in dieser Clique, einer Bindung, deren Ursache sie nicht kannten, deren Zwangsläufigkeit sie aber spürten, gelegentlich, zwischen zwei Sätzen des Spiels, verstummten sie, starrten sich gegenseitig an, als ob sie eine Begründung dafür finden müßten, warum sie zusammen waren, warum sie spielten, warum sie lebten. Nach einem solchen Augenblick der Verblüffung, auf den eine verdrießliche Unlust folgte, schlug Ábel vor, sie sollten »Überrumpelung« spielen.
    Ernő und der Einarmige verließen den Raum, die anderen drei zogen sich ihre Kostüme an und überließen sich der ungezwungenen Behaglichkeit ihrer Tarnung. Ernő klopfte energisch. Die Aufgabe war, mit dem ganzen Schatz ihres Vokabulariums zu erklären, warum sie auf diese Art zusammen waren und was sie hier taten. Ernő u nd der Einarmige verkörperten die Rechenschaft fordernde Außenwelt. Sie hatten keinen speziellen Titel, konnten Lehrer, Detektive, eine Militärpatrouille oder einfach Väter sein, die kamen, um von ihren »Untergebenen«–das war die Bezeichnung, auf der Ábel bestand –Rechenschaft zu fordern für das, was sich hier abspielte.
    Die Vernehmung nahm Ernő vor. Der Einarmige stand in Habtachtstellung hinter ihm, wie ein Schuldiener hinter dem Direktor, wie ein Soldat hinter dem Leutnant oder ein nicht ganz so mächtiger Erwachsener –etwa ein schelmischer Onkel –hinter dem Vater. Ernő, mit Hut, schritt, Bélas Bambusstöckchen und die hirschledernen Handschuhe in der Hand, im Zimmer auf und ab. Von Zeit zu Zeit nahm er seinen Kneifer herunter, hielt ihn mit zwei Fingern vor sich und putzte die Gläser. Es wurde festgestellt, sagte er, und der in flagranti vorgefundene Tatbestand bestätigte es, daß sich die Zöglinge schon seit längerer Zeit ohne Erlaubnis ihrer Eltern, ihrer Lehrer, ihres Vorgesetzten, den zivilen und militärischen Behörden geradezu trotzend, den Vorschriften zuwiderhandelnd, eigenmächtig aus der Stadt entfernten, im Hotelzimmer einer übelbeleumundeten Badeanlage einschlössen, Tabak rauchten, alkoholhaltige Getränke zu sich nahmen und über Stunden unter sich blieben. Der Anblick, der sich dem Eintretenden bot, sei höchst sonderbar.
    »Prockauer, stehen Sie auf! Abgesehen von Ihren schulischen Leistungen, die beklagenswert schwach sind, muß ich einräumen, daß Ihr Betragen in letzter Zeit keinen Anlaß für besondere Beschwerden geliefert hat. Bedauerlicherweise ist jedoch festzustellen, daß verschiedene äußere Anzeichen, deren ich hier ansichtig werde, den Tatbestand einer Verletzung der Anstaltsvorschriften erfüllen. Was ist das hier? Rum. Und das da? Tresterschnaps. Diese Dose? Rollmöpse. Was sehe ich, Ruzsák? Stehen Sie auf!

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