Die jungen Rebellen
aus dem Weg gehen und dann beschwingt, die Last dieser Verantwortung hinter sich lassend, in die Kaserne einrücken oder in den Krieg ziehen, in die große Gemeinschaft der Erwachsenen, wo sich die Sorge der Verantwortung auflöst, wo er nicht Götze einer Kameradschaft sein wird, die bedrückend und belastend für ihn ist, weil er sie nicht erwidern kann. Alles wird gut und irgendwie in Ordnung kommen, vielleicht muß nur ein einziges Wort ausgesprochen werden, und sie sind frei von diesem peinlichen und schmerzhaften Bann. Er kennt sich nicht mehr aus. Das Spiel ist verworren, unverständlich. Alle sitzen hier, als warteten sie auf etwas. Was ist denn geschehen? Wen trifft die Schuld? Er selbst fühlt sich unschuldig, hat nur geduldet, daß sie zu ihm kamen, war gerecht und hat sie alle ohne Unterschied ertragen. Jetzt muß er sie mit einem Ruck abschütteln und einfach weggehen. Er braucht dieses Spiel nicht, will es nicht länger, es bringt eine Spannung mit sich, die seine Nerven trotzig zurückweisen.
Er denkt an Ábel und streift ihn mit einem flüchtigen Blick. Der Sohn des Arztes nimmt dieses Zeichen elektrisiert auf, antwortet mit einer solchen Beflissenheit und mit so fiebrig fragendem Blick, bereit, aufzuspringen und jeden seiner Befehle auszuführen, daß Tibor mißgelaunt und voller Schuldbewußtsein wegsieht, an ihm vorbei. Wie schwer es doch ist, sich von Menschen zu lösen. Wir glauben, frei zu sein, doch wenn wir uns befreien wollen, merken wir, daß wir Fesseln tragen. Da lächelt man nur einmal unbedacht, und schon ist man wieder in die Kameradschaft mit einem Menschen verstrickt. Er weiß gar nicht, was so eine Kameradschaft ist. Hat sie sich anders vorgestellt, als eine Art leichten, heiteren Spaziergang, unverbindliche Sympathie, die zu nichts verpflichtet. Jetzt denkt er zum ersten Mal daran, daß Kameradschaft auch eine gewichtige und unauflösbare Klammer zwischen Menschen sein kann, die, wenn sie gesprengt wird, Wunden hinterläßt.
Doch die Möglichkeit, daß er durch die gewaltsame Trennung jemandem Schmerzen zufügen könnte, belastet ihn jetzt nicht. Macht nichts, wenn’s ihnen weh tut. Boxhiebe ins Gesicht, Ernő den Kneifer von der Nase schlagen, Ábel eine gewaltige Ohrfeige verpassen, Béla einen tüchtigen Nasenstüber geben und erhobenen Hauptes von dannen gehen. Sonderbar ist, daß er nicht aus ihrem Kreis heraustreten kann, wie kein Mensch aus seiner Welt, aus dem ganz spezifischen Milieu, das er mit seinem Wesen geprägt hat, heraustreten kann. Diese hier und er haben die gleiche Luft geatmet, aus diesem Lebensraum wegtauchen konnte keiner von ihnen, sie hatten ihre eigene Atmosphäre und ihre Sonne, wurden von einer Anziehungskraft zusammengehalten, der keiner von ihnen entkommen ist.
Vielleicht kann man sich mit allen versöhnen, erwägt er hoffnungsvoll. Vielleicht läßt sich alles überstehen. Man muß mit Havas reden, und morgen, wenn Ábel pfeift, sage ich einfach, ich habe keine Zeit. Vielleicht schreibe ich Vater einen Brief, bitte ihn, nach Hause zu kommen. Wenn er da ist und mir vergibt, traut sich keiner mehr an mich heran.
Durch die überhebliche Miene wirkt sein Gesicht jetzt schief. Warum schauen sie so, denkt er selbstquälerisch.
Nun blicken alle drei her. Erwarten, daß ich aufstehe, heften sich an meine Fersen, sie lassen mich keinen Schritt allein, haben Angst, daß ich durchbrenne. Endlich alles hinter sich haben! Vergessen! Ein anderes Spiel spielen, ein ganz anderes. Jetzt, wo es schon erlaubt ist … Diese Jahre vergessen, die Clique, die Diebstähle, das Beklemmende, das ganze Spiel, dieses unverständliche, peinliche Rebellieren. Ihnen weh tun.
Verschwommen geht ihm durch den Sinn: Warum tut es weh, wenn man geliebt wird? Jede Nervenfaser in ihm sträubt und wehrt sich gegen den Zwang, der von den anderen ausgeht und auf ihn einwirkt. Sie sind eifersüchtig. Stolz, kaum merkbar lächelt er und hebt den Kopf.
Einer von ihnen hat gemogelt, überlegt er weiter. Das ganze Spiel ist schmutzig, schon lange. Jemand hat an diesem Spiel ein Interesse. Verächtlich wie ein Sklavenhalter sieht er vor sich hin. Ich muß das Wort finden, das man nur auszusprechen braucht, damit alles auseinanderfliegt, der ganze Sinn der Clique zerplatzt wie eine Blase, man muß sie nur mit der Nadelspitze eines einzigen Wortes anstechen. Ich verabscheue euch, denkt er, wenn ich jetzt aufstehen und schreien würde, mir reicht’s, ich mag das nicht, jeder denkt etwas und
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