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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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langgezogenen »ach geh« antwortete, auf jeden Fall gingen sie nebeneinander, und er hörte ihm zu. Seit heute mittag ist diese Gewißheit, daß er Tibor zu bestimmten Zeiten sehen und sprechen kann, dahin.
    Er betrachtet den verdreckten Plafond, die modernden Wände und wundert sich. Er muß den Kopf senken, weil er Angst hat, daß ihn die Tränen überwältigen und die anderen es merken. Eine solche Unruhe, ein so großer Schmerz geht von dem Verlust, der Gefahr und diesem Unabänderlichen aus, wie sie der Mensch nicht lange ertragen kann. Sie sitzen erschlafft da, in Betrachtung dieser schmutzigen Zwingburg, dieses öden Paradieses der Erwachsenen.
    »Intra muros«, sagt Ábel mit säuerlicher Miene.
    Sie sehen ihn verständnislos an. Tibor ist heute abend auffallend blaß. Stumm und feierlich sitzt er da, den Kopf in die Hände gestützt wie in der Armesünderzelle. Ábel wagt nicht zu fragen, was ihn bedrückt. Man kann bei ihm nie sicher sein, er gibt manchmal die überraschendsten Antworten, gelegentlich beschämend einfältige. Möglicherweise sagt er, es sei am Sonntag eindeutig der Fehler der Gastmannschaft gewesen, daß seine Mannschaft mit dem Freistoß kurz vor Schluß das Spiel nicht für sich entscheiden konnte. Tibor schweift, wenn ihn sichtlich etwas bedrückt, gern auf ganz andere Felder ab. Ábel ist ständig besorgt, Tibor könne etwas von sich geben, was ihn, den Freund, in den Augen von Ernő herabsetzt. Nur vor Ernő hat er Angst, Béla und Lajos haben Tibor nie so kritisch gesehen.
    »Wie lang kann es noch dauern?« denkt er. Und was wird dann? Vielleicht ist der ganze schöne Zauber, der sie alle verbunden hat, schon in ein paar Minuten zu Ende. Es fällt das Wort, und wie bei einer überlasteten Leitung brennt die Sicherung durch, alles versinkt in Dunkelheit. Auf diesen Abend haben sie sich schon lange vorbereitet. Ábel hätte nicht genau sagen können, was, welche Art der Befreiung er erwartet hat. Ihn wundert, daß sie alle so verdrossen dasitzen. Er hätte nie gedacht, daß sie diesem Augenblick der Erlösung so lustlos begegnen würden.
    Die Zweitrangigkeit ihrer Lage ist ihm geradezu peinlich: sind sie doch von der höchsten Würde in der Hierarchie ihrer jugendlichen Welt plötzlich abgestürzt und zu minderwertigen Erwachsenen geworden.
    Er meint: »Jetzt können wir das Ganze von vorn beginnen.«
     
    ~
     
    Keiner von ihnen will ohne Tibor vorausgehen. »Wer macht den Anfang?« fragt Ernő.
    Auch als alle anderen schweigen, rührt sich Tibor nicht, bleibt stumm und blickt abwartend auf die Marmorplatte des Tisches. Er sieht nicht auf, obwohl er weiß, daß er gemeint ist und jetzt alle in seine Richtung schielen. Tibor schweigt beharrlich. Die aufdringliche Zuneigung, die leidenschaftliche Anhänglichkeit, die ihn nun von allen Seiten bedrängt, heftiger und eifersüchtiger als je zuvor, löst Trotz bei ihm aus. Wie ein beleidigter Paris sitzt er da und beißt sich auf die Lippen.
    Die Kameradschaft ist ihm zur Last geworden. Der Gedanke, daß die Disziplin, die sie alle wie ein eherner Reifen zusammengehalten hat, heute gesprungen ist, gefällt ihm. Ein Gefühl der Befreiung und der Erleichterung durchströmt ihn, wenn er daran denkt. Er legt keinen Wert mehr auf diese Kameradschaft. Sie war zuviel, sie schnürte ihm die Luft ab. Ábels Schwärmen, die Eifersucht von Ernő, die täppische Anhänglichkeit Bélas, die Späße des Schauspielers und sein ganzes Wesen, das alles war maßlos, nicht mehr zu ertragen. Erleichtert stellt er sich vor, daß er vielleicht schon in einigen Monaten in einer Kaserne ist. Da wird es alle die nicht mehr geben, die über jeden seiner Schritte Rechenschaft fordern, die Mutter, Lajos und Ábel, keinen Ernő, dessen musternden Blick er nur schwer ertragen kann, und er muß Béla, diesen geckenhaften Schatten, nicht mehr sehen. All das hat er satt. Voll Sehnsucht denkt er an die Front, von der er nichts weiß, als daß sie dem jetzigen Leben endgültig ein Ende machen wird. Aus dem Chaos taucht das Bild des Vaters auf, wie ein Heldendenkmal in Erz gegossen. Etwas Sicheres, an dem man sich festhalten kann, obwohl dieser Vater mit seinem ungeheuren Gewicht das Leben um sich erdrückt. Tibor will Havas bezahlen. Morgen früh spricht er mit der Mutter, vielleicht gesteht er ihr alles, aber er will Havas unbedingt auszahlen, das Silber zurückhaben und leichten Herzens Abschied nehmen von Ábel und Ernő, Béla auf die Schulter klopfen, dem Schauspieler

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