Die jungen Rebellen
Aber er ist etwas Besonderes, weil er schön ist. Er kann nichts dafür, daß ich seinetwegen leide. Wenn Tibor mein Freund wäre, ginge ich mit ihm und würde für ihn sorgen, würde alles mit ihm besprechen, auch wenn ich wüßte, daß er es nicht versteht oder mir gar nicht zuhört. Vielleicht würde es helfen, wenn ich ihm etwas geben könnte, ein Geschenk, etwas Großes. Aber das weiß er schon alles. Und eigentlich habe ich nichts, was ich ihm noch geben könnte. Wie würde er wohl reagieren, wenn ich ihm sagte, er sei schön? Vielleicht weißer es gar nicht. Ich wußte es bisher auch nicht, muß vergessen, daß Tibor schön ist, dann kann ich von ihnen loskommen. Jeder geht seiner Wege, und wir vergessen einander. Man sollte zu den Mädchen gehen. Wenn ich wüßte, daß alle auf einmal … Vielleicht führt uns Amadé jetzt hin. Bewegt euch doch endlich. Die Primadonna schaut auch her, sie lacht und winkt. Ob Tibor ihr gefällt? Was würde ich tun, wenn mir Amadé die Primadonna vorstellte? Ab morgen wäre das ja möglich. Tibor gefällt jedem. Gestern habe ich bemerkt, wie ein Major sich auf der Straße umdrehte und Tibor nachschaute. Jeder mag ihn. Mich mag keiner … Höchstens Etelka. Es ist nicht gut, wenn man jemanden liebt. Ab jetzt werde ich eben allein sein. Am Nachmittag habe ich mich krank gefühlt. Ich sollte herausfinden, wer gemogelt hat. Amadé muß ich loswerden und auch von Ernő und Havas loskommen. Will nicht mehr von Tibor träumen. Auch mit ihm soll Schluß sein. Ich werde alles niederschreiben, was ich gesehen habe. Doch als erstes muß ich mich von Tibor trennen. Wann wird der Mensch erwachsen?
Die Drehtür macht einen Schwenk mit ihnen, und sie treten auf die Straße.
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Der Platz räkelt sich in feierlichem Licht, dick in Mondscheinbeize getaucht, ein paar bauchige Barockhäuser blähen sich in dem süßlichen Glanz weiß auf. Ein Takt der Musik, die die Drehtür mitgenommen hat, zerfällt und wird von der Stille geschluckt. Die Kirche schließt die eine Seite des Platzes ab, mit ihrem Gewicht erdrückt sie förmlich die niedrigen Häuser. Hinter einem der großen Flügelfenster des Bischöflichen Palais brennt Licht. In der kleinen Parkanlage mitten auf dem Platz haben die Kastanienbäume um den versiegten Springbrunnen ihre gedrungenen Kerzen aufgesteckt.
Die Luft ist so dicht und lau wie in Sommernächten. Menschen sind nicht mehr unterwegs. Das schlecht proportionierte Theater mit seinem hohen Schnürboden baut sich ungeschlacht wie eine Scheune vor dem Park auf, seine spinnwebverhangenen Fenster schauen blind herab. Die Stadt liegt in ihrem ersten, tiefen Schlaf. Vom Bahnhof dringt der schrille Pfiff einer Lokomotive herüber, als wolle er die Menschen daran erinnern, daß es nichts nützt, die Köpfe in die Kissen zu vergraben. Die Züge mit den für immer stummen Passagieren, unaufhörlich kommen sie an und fahren wieder ab. Die Mahnung verhallt ohne Wirkung auf die Stadt. Vor der Kaserne wechseln zwei stahlhelmbewehrte Wachposten ihren Schritt und Standort an den Torecken.
Hinter dem beleuchteten Fenster sitzt der Bischof in seinem Lehnstuhl und liest die Zeitung. Auf einem Tischchen steht ein Glas Wasser; von Zeit zu Zeit langt er mit der knochigen Hand nach dem Glas, benetzt die Lippen und liest zerstreut weiter. Der Bischof schläft in einem Feldbett wie der Kaiser. Über dem spartanischen Bett hängt ein Elfenbeinkruzifix, an der Wand steht der Betstuhl mit bordeauxrotem Samtkissen. Auch die Vorhänge der Fenster sind aus schwerem rotem Samt. Der Bischof schläft schlecht, er geht an den Bücherschrank und streicht mit seinem knöchernen Finger an den vergoldeten Buchrücken entlang, als berühre er die Tasten einer Orgel, um den richtigen Ton für diesen Augenblick zu suchen. Er zieht mehrere Bücher aus der Reihe heraus, schiebt sie dann aber wieder zurück; schließlich hebt er, mit einiger Anstrengung, einen dicken schwarzen Band heraus. Der filigrane Herr geht mit dem gewichtigen Buch langsam zu seinem Nachtkästchen und legt es neben das Brevier und den Rosenkranz, er schlägt es auf und betrachtet einige Bilder. Es ist Brehms Illustriertes Tierleben. Der Bischof ist schon sehr betagt. Er setzt sich aufs Eisenbett und zieht sich ächzend die Schuhe aus.
Das Krankenhaus ist hell beleuchtet wie eine florierende Industrieanlage, in der auch nachts emsig gearbeitet wird. Und am Ende der Straße, unter der Brücke, läuft und malmt die große Dampfmühle. Sie
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