Die jungen Rebellen
gehen langsam
über den Platz, ziehen riesige Schatten hinter sich her. In der Mitte der Grünanlage bleiben sie stehen; ein Holunderstrauch blüht, und sein herber, aufdringlicher Geruch trifft sie wie eine Berührung. Sie zünden sich Zigaretten an und stehen wortlos herum. Dieses Rund hier um die paar Häuser, durch gelbes Licht in Lack getaucht, es ist die Kulisse ihrer Kindheit. Sie wissen, wer hinter den Fenstern eines jeden Hauses schläft. Die Vergoldung der Buchstaben am Firmenschild der Buchhandlung ist abgeblättert. In diesen Läden mit den niedrigen Portalen haben sie auf Kosten der Väter ihre Bleistifte, Bücher, Kragen, Hüte, Schleckereien, Laubsägen, Taschenlampen gekauft –bitte auf Rechnung. Nirgends mußten sie bezahlen. Der Kredit der Väter war scheinbar grenzenlos, hielt er doch die ganze Kindheit hindurch an. Aus dem quadratischen Ausschnitt im herabgelassenen Rolladen der Apotheke dringt ein heller Lichtschein, der Apotheker hat Nachtdienst, vermutlich ist er in Gesellschaft von Damen aus dem Offiziersetablissement und einiger Offiziere, und sie sitzen bei »Cognac médicinal«. Die Schläge der Uhr schneiden so in die Stille hinein, daß der melodische Nachklang ein Klirren erzeugt, als wenn hauchfeines Glas zerspringt. Sie umstellen den Holunderstrauch und pinkeln, die Zigarette in einer Hand, mit der anderen die Kleider ordnend. Der Einarmige behält die Zigarette auf der Lippe. Tibor beginnt leise zu pfeifen. Sie nehmen den Weg am Zaun der Grünanlage entlang über den lockeren, weichen Rasen. Der Schuster sitzt in seinem Loch vor der Ölfunzel, einen Bilderalmanach im Schoß, und liest, halblaut buchstabierend, die »Heldentaten unserer Feldherren«. Von Zeit zu Zeit unterbricht er die Lektüre, stiert vor sich hin und wühlt in seinem Bart, dabei stöhnt er leise. In der Stadtbibliothek, auf dem mondbeglänzten Fußboden des großen Saals, wuseln inmitten der dreißigtausend Bände hektisch die Ratten. Die Altstadt leidet unter einer Rattenplage; eines Tages kam auf Anforderung des Stadtrats ein Rattenfänger in die Stadt und ließ sich für ein paar Stunden ins Theatergebäude einschließen; als er ging, lagen Hunderte toter Ratten im Zuschauerraum, auf der Bühne, in den Logen und in den Fluren. Ábel kann sich noch an diesen Rattenfänger erinnern, der nur einen Tag in der Stadt weilte, die öffentlichen Gebäude von Ratten und Mäusen befreite und am darauffolgenden Tag schon fort war mit seinem Geheimnis und mit dem Honorar, das er vom Rat bekommen hat. Er soll Italiener gewesen sein.
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Der Frühlingsmond hat die Eigenart, Gegenstände, auf die sein Schein fällt, aufzublähen. Das Phänomen naturwissenschaftlich zu erklären würde schwerfallen. Alle Gegenstände, Häuser, ganze Plätze und Städte, saugen sich mit dem Frühlingsmond voll und gehen auf wie Wasserleichen. Ebensolche befördert die Strömung des Flusses mit großer Geschwindigkeit durch die Stadt. Sie schwimmen nackt und kommen von weit her, aus den Bergen, über kleinere Gewässer, und streben, ins große System der Zusammenflüsse eingebunden, mit der Frühlingsflut ihrem Bestimmungsort entgegen, zum Meer. Tote reisen schnell. Gelegentlich kommen sie auch in Gesellschaft, zu zweit oder zu dritt, schwimmen nachts um die Wette durch die Stadt. Der Flußweiß, was er der Stadt schuldig ist, er erledigt seine Leichentransporte im Eiltempo und vorwiegend in der Dunkelheit.
Manchmal verfängt sich ein Toter an den Stützpfeilern der Brücken, die Müller fischen sie dann am Morgen heraus und buchstabieren nachdenklich die offiziellen Identitätsangaben, die die Wasserleichen in Blechkapseln um den Hals tragen. Tags darauf veröffentlicht der Redakteur den Namen des angeschwemmten Fremden in der Zeitung.
Zu Anfang des Krieges hat ein Sturm die Fichtenbestände rings um die Stadt geknickt, aber von irgendwoher weht der Frühlingswind immer noch Harzgeruch in die Stadt herunter, und in lauen Nächten riecht die Luft wie mit Fichtennadeln parfümiertes Badewasser.
An der Ecke des Fischergäßchens schlafen die zwei Töchter des Metzgers in ihrem Kämmerchen; die in den Laden führende Tür steht offen, der Mond beleuchtet die Körper der beiden und die an großen Haken von der Wand hängenden ausgeweideten Tierhälften. Auf der Theke liegt ein abgeschnittener Schafskopf mit geschlossenen Augen, aus seinen Nasenlöchern sickert schwarzes Blut auf den hellen Marmor. Der alte Advokat, der jeden Abend als
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