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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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letzter in der Stadt schlafen geht, sitzt noch im Arbeitszimmer auf einem mit rotem Stoff bezogenen und mit weißen Emailnägeln gezierten Kirschholzfauteuil, staubige Glaskästen im Schoß: Er betrachtet seine Schmetterlingssammlung. An den Wänden ringsum hängen in verglasten Kästen Tausende Schmetterlinge, alle vom Advokaten mit dem weißen Schmetterlingsnetz gefangen und ins Zyankaliglas gesperrt. Fangnetz und Glas trägt er immer bei sich, in der hinteren Tasche seines Gehrocks, auch auf dem Weg zu Verhandlungen und zum Gericht. Seine beiden Söhne sind im Krieg gefallen, ihre Photographien stehen in Messingrahmen mit Trauerflor auf dem Schreibtisch. Er betrauert sie nicht mehr, denn er ist alt, und es ist schon zwei Jahre her, daß sie fielen; in zwei Jahren verwindet der Mensch jeden Schmerz. Soeben hat er sich eine Reihe von Kohlweißlingen aufmerksam mit der Lupe besehen, auf dem Tisch liegen ein Tabakfilter und eine Stummelpfeife. Der Advokat fängt seit siebzig Jahren Schmetterlinge, man konnte in jeder warmen Jahreszeit beobachten, wie er außerhalb der Stadt mit wehendem Bart und flatternden Rockschößen, das Fangnetz in der Hand, über Furchen stolpernd, hinter den Schmetterlingen herrannte.
    Und es gibt noch viele, viele andere Menschen, die die fünf Kameraden vom Sehen kennen, nur ihr Gesicht oder ihre Stimme, und die sie alle in der Erinnerung bewahren, irgendwo dort, wo sich die Seele ihre Bilder macht; und sie können sie nicht loswerden, die Gesichter der Krüppel, der Pfarrer und der verblühten Frauen, mit denen zusammen sie zwischen den wenigen Kulissen gelebt haben und die hier hängengeblieben sind, durch Abstammung oder Gewerbe gebunden, die zusammengehört haben und im Grunde nichts voneinander wußten. Aber in der Stunde ihres Todes fällt ihnen vielleicht das Gesicht des hinkenden Spielzeugverkäufers vom Kirchplatz ein, der ihnen einmal einen neuartigen Zauberkasten erklärt hat. Und auch ein professioneller Zauberkünstler wohnt in der Stadt, jedes Jahr hat er im Kultursaal eine Vorstellung arrangiert und in seinen freien Stunden Klaviere gestimmt. Sie alle lebten auf dieser Insel, der man vielleicht nie ganz entfliehen konnte, und wenn sie sterben, holt die Familie ihren Leichnam hierher zurück und begräbt ihn wieder in der Erde der Insel.
    Ábel wirft seine Zigarette weg.
    »Avanti«, drängt der Schauspieler mit gedämpfter Stimme. Ohne Hut steht er vor dem Bühneneingang, grinst, sein Goldzahn funkelt im Mondschein.
     
    ~
     
    Mit der Taschenlampe leuchtet er die unterste Stufe der Stiege an, der Schein läuft neugierig die Wand hoch, hinter der vergitterten Glasplatte hängt ein Zettel: »9.30 Uhr Rigoletto, Textprobe«. Der Schauspieler geht auf Zehenspitzen voran, im Zwischengeschoß stößt er die Eisentür auf.
    Der lange Gang ist so schmal, daß sie, mit beiden Händen seitlich tastend, links und rechts die Wände berühren. So ziehen sie im schwankenden Gänsemarsch dahin, vorweg als wandelnde Lichtquelle der Schauspieler mit schwebenden Schritten, nach vorn und nach hinten leuchtend. Immer wieder öffnen sich Glastüren, manchmal auch Eisentüren, es geht treppauf, treppab. Im Innern besteht ein Theater offenbar nur aus Stiegen und Türen. Und das Ganze getränkt von einem süßlich-muffigen Geruch, der weder Parfüm noch Moder ist und auch nicht Mastix, sondern eine Mixtur aus Leinwand, Farbe, neunzigprozentigem Alkohol, menschlicher Ausdünstung, Staub, Dreck und verbrauchter Luft, dazu der unvergleichliche Theatergeruch, destilliert aus einer Essenz von Stilblüten und Tiraden, zusammengerührt aus dem Extrakt von Wörtern, farbigem Licht und Bewegungen. Ein sehr körperlicher, bombastischer Geruch, der sich in den Kleidern der Theaterleute festsetzt, auf ihrer Haut, in ihren Haaren, so daß sie ihn auch noch an sich haben, wenn sie nicht auf der Bühne stehen. Jetzt kann Ábel die seltsame Leidenschaft des Schauspielers für fremdartige und aufdringliche Düfte verstehen. Er hat diesen Theatergeruch durch Parfüms überdecken wollen. Niemand mag es, wenn andere das Gewerbe, das man ausübt, am Geruch erkennen, also verwenden Mägde, die mit Kühen umgehen, Patschuli, Flickschuster derbe Haarpomaden, die Kommis der Kolonialwarenläden Moschus, und aus ebendiesem Grund besprüht sich der Schauspieler mit Chypre.
    Nie hätten sie gedacht, daß ein Gebäude so viele Stiegen und Türen haben kann. Zwei Stockwerke sind schon erklommen, und der Schauspieler stößt immer

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