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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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sitzt nun vor ihnen, rohe Materie, aus der ihr Besitzer das formt, was er will. Er massiert sein Gesicht mit unendlicher Sorgfalt, als sei er mit sich allein, zieht die Lider herab, rollt die Augen, verdeckt mit einer Hand das Doppelkinn, lehnt sich zurück, um sich, wie der Maler sein Werk, durch enge Augenschlitze zu betrachten.
    »Ich habe ungefähr vierunddreißig Gesichter«, sagt er beiläufig. »Vierunddreißig oder sechsunddreißig, bin schon längere Zeit nicht mehr zum Nachzählen gekommen. Ich habe einen Negerpastor, meine Lieben … Und einen Cyrano. Und ich habe einen Cäsar, ohne Perücke, mit unverfälschter Kahlköpfigkeit, nur zwei Striche da neben dem Mund … Schaut her ! «
    Er ergreift ein Stück Kohle und zieht zwei Striche neben den Wangenknochen. Das Gesicht wird schmal und hager, alle Züge treten scharf hervor, seine Kahlköpfigkeit beginnt zu leben, ist wie ein Symbol des Schicksals, ein so sichtbares Zeichen für den heimlichen Schmerz eines Menschen, den kein Erfolg, kein Sieg oder menschlicher Triumph je lindern kann.
    »Mein Cäsar«, sagt er, »hat keinen Lorbeerkranz um die Stirn. Dröhnt seine Schande trotzig in den Äther. Sie sollen aufmerken und zittern. Dieser kahle Schädel birgt das Schicksal von Welten …«
    Mit einer langsamen Handbewegung streift er die blonde Perücke über seinen Schädel: »Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage.«
    Er geht langsam an ihnen vorüber, verbeugt sich tief: »Und ich sage dir, Polonius …«
    Er starrt mit der Versponnenheit Hamlets vor sich hin. Dann streicht er sich eine Strähne des blonden Haars in die Stirn, spitzt den Mund und macht verträumt ein paar Schritte.
    Er ist jetzt in einer Rolle, deren Text er nicht beherrscht, nur ihr frivoles Lächeln, ein Mensch, der auf der Straße an ihm vorübergeht. »Sie hat oft an meiner Stelle gespielt …«, sagt er nachdenklich, setzt sich wieder vor den Spiegel und entblößt sich erneut zum Kahlkopf.
    Ein halbes Dutzend Perücken kramt er aus der Schublade hervor und wirft sie vor sich hin, probiert sie. Sein Antlitz wandelt sich von Minute zu Minute. War er eben noch blutjung, wurde er im nächsten Augenblick zum geilen Lüstling oder uralt. Ganze Lebensläufe spiegeln sich in seinem Gesicht, blitzartige Reflexe von Zeitaltern und Menschen; er verrät vorher nicht, in wen er sich verwandelt, wie ein Virtuose auf seinem Instrument, so spielt er mit seinem Gesicht. Er bläht die Nüstern, formt eine Stumpfnase. Sein Gesicht kann elastisch anschwellen und faltig zusammenfallen.
    Gerätschaften liegen vor ihm ausgebreitet, Pinsel, Farbstäbchen, Watte, Quasten, Flaschen mit Alkohol und Mastix. Er klebt sich eine Fliege unters Kinn, einen schmalen Backenbart an die Wangen, hebt knurrend und gichtgeplagt stöhnend das Bein, gibt gequält Anweisung, daß man ihm Glühwein bringen möge. Er spielt Abziehbild mit den Quasten und mit seinem Gesicht. Läßt mit ein, zwei lässigen Strichen ganz nebenbei die unverkennbaren Masken historischer Figuren erstehen.
    Dann schiebt er alles von sich weg. »Vielleicht«, sagt er, »erfinde ich einmal eine Maske, mit der ich lange existieren kann, sehr lange. Das ist nicht einfach. Quasten, Haare und Farbe helfen da nur wenig. Das hier«, und er tätschelt sein Gesicht mit zwei Fingern, »ist gefügiges Material, wenn man damit umgehen kann. Natürlich schrumpft es, wird allmählich härter. Ja, meine Freunde, das Fleisch lebt, wie die Seele. Man muß es im Griff haben, gefügig machen. Meine Figur«, und er blickt an sich hinunter, macht eine wegwerfende Bewegung, »habe ich verbraucht, und sie ist mir allmählich lästig. Demnächst, in einer anderen Stadt, möchte ich mich den Menschen in einem anderen Erscheinungsbild präsentieren. Vielleicht als rosiger Jüngling. Ich weiß es nicht. Vielleicht auch als Greis. Die Falten sind spröder, widerspenstig. Ich werde alt.«
    Verärgert schnippt er an sein Doppelkinn.
    »Das hier«, sagt er und greift sich eine Handvoll Quasten, »ist mir lieb und wert. Und diese und diese«, er wirft eine Perücke hoch. »Glaubt mir, wenn ich mir diesen rotfleckigen Titus-Kopf aufsetze! … Wer will mich dann noch kennen?«
    Und er stülpt sich die Titus-Perücke über. Die rötlichglänzenden Locken schmiegen sich bis zum Nasenrücken in seine Stirn. Mit lockeren Fingern streicht er sich Rot auf die Lippen, die jugendlich aufquellen, das Feuer der Augen unterstreicht er mit einem abgebrannten Streichholz, und voll Glanz

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