Die jungen Rebellen
erstrahlen seine Pupillen. Der ganze Kopf wirkt jugendfrisch, rötlich in seiner lasziven Verderbtheit und hochmütigen Lasterhaftigkeit. Auch die Stimme, nun volltönend, gebieterisch, ist verändert.
»Ich habe vierunddreißig Gesichter«, ruft er und bläst sein Doppelkinn auf wie einen Kehlsack. »Oder sechsunddreißig? Wer kennt mich? Ich verschwinde wie die unsichtbare Seele, entziehe mich ihrem Zugriff. Meine Welt ist die Unsterblichkeit, weil ich auch dem Tod durch die Finger gleite. Er kennt mein Gesicht nicht. Selbst wenn ich allein bin, findet er zu Hause nicht den Richtigen.«
Er sieht sich unsicher um und spricht leise: »Jeder Mensch hat mehrere Gesichter. Manchmal weiß ich nicht mehr, welches mein letztes ist, unter dem nur noch die nackten Knochen sind.«
Er schält sich die Titus-Perücke herunter, wischt sich mit einem Tuch die Farbe aus dem Gesicht, dann prüft er im Spiegel erneut das Rohmaterial und bemerkt deprimiert: »Dieses kahle, zahnlose Schwein soll ich sein? Nein. Hol ihn der Teufel, zur Hölle mit ihm.«
Er nimmt sein Gebiß heraus, wirft es wie einen Fremdkörper zu seinem Haarteil hin. Dann überlegt er es sich anders, holt es wieder, reinigt es mit dem Taschentuch und setzt es vorsichtig wieder ein.
Ernő steht auf und schleicht hinter ihn.
Der Schauspieler holt eine Zigarette hervor, legt sich ein Handtuch um den Hals; die brennende Zigarette im Mund, mustert er sich mißtrauisch im Spiegel. Er knotet sich das Handtuch mit einer schnellen Bewegung am Hals fest. »In Paris«, sagt er, »setzen sich die Kellner nach dem Dienst so zum Mittagstisch. Sie drehen aus der Serviette einen Strick und legen sich diesen wie einen Schal um den Hals.«
»Genau«, sagt Ábel.
Selbstvergessen haben sie zugeschaut, waren nicht ohne Grund in Gesellschaft des Schauspielers. Er hat hier etwas aufgezogen, was mehr und unterhaltsamer ist, als es die wüsten Gelage nach der Matura sonst sind, die in maßlosem Suff, mit Kotzen und im Freudenhaus enden. Dem Schauspieler konnten sie sich anvertrauen. Sie verfolgten seine Verwandlungen mit gespannter Aufmerksamheit. Béla beobachtete fasziniert, wie der Mime in Quasten, Farbstäbchen und Reispuderdöschen schwelgte. Ábel dachte daran, daß der Schauspieler vielleicht noch ein Gesicht besäße, das auch er bisher nicht gesehen hat und mit dem er möglicherweise heute nacht auftreten wird. Ihm fiel die halbe Minute ein, da der Schauspieler in seinem Zimmer allein am Fenster stand. Kalt lief es ihm den Rücken hinunter, aber er wußte, daß er sich jetzt um nichts in der Welt von hier entfernen würde. Diese Nacht will er noch abwarten, zusammen mit der Clique und Amadé, er wird sich nicht vom Fleck rühren, bis der Schauspieler nicht auch die letzte Maske fallen läßt.
So wie er jetzt vor dem Spiegel sitzt, mit zarten Bartstoppeln und kahlköpfig, das Handtuch um den Hals geknüpft und die Zigarette auf der Lippe, die Hände in die Hüften gestützt, die Beine übergeschlagen, ist er wie ein Fremder unbekannter Herkunft und Profession, einer auch mit fremder Sprache, von dem man wirklich nicht wissen kann, welche Absichten er verfolgt. Er ruht aus, raucht und läßt die Beine baumeln. Ist ein Fremder. Er ist so fremd, daß sie verschüchtert schweigen. Alles ist hier in der Hand des Verwandlungskünstlers. Die vielen Skalpe an der Wand und all die Charaktere und Schicksale, die hinter ihnen, in ihrem Schatten hängen, das ist das Reich des Schauspielers. Auf einen Wink konnten sich Heerscharen erheben, Menschen mit fürchterlichen Visagen hervorkriechen. Der Schauspieler lächelt hochmütig, eitel und selbstsicher. Der Zigarettenstummel wandert von einem Mundwinkel zum anderen.
Nur Ernő beobachtet ihn mit Skepsis. »Was brütest du hier aus?« fragt er ruhig. Der Schauspieler wirft die Zigarettenkippe weg, springt auf und sagt: »An die Arbeit.«
~
Er befiehlt Ábel vor den Spiegel und betrachtet ihn mit zurückgelegtem Kopf, den Finger auf der Unterlippe, geht zum Fenster, lehnt sich mit dem Rücken ans Fensterbrett und prüft ihn lange. Dann gibt er ihm mit der Hand Zeichen, wie der Maler seinem Modell, er möge sich drehen und im Profil zeigen. Und als ob er endlich gefunden hätte, was er suchte, springt er mit zwei Schritten zum Tisch, zupft ein Büschel von dem schwarzen Werg heraus und hält es an Ábels Gesicht, schüttelt den Kopf, pfeift, dreht mit zwei Fingern den Kopf des Jungen, seufzt von Zeit zu Zeit in tiefem Erstaunen
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