Die jungen Rebellen
Brot verdienen wollen.
Der Kleine hat in der Nacht mit einer Frau geschlafen. Sie reckt sich, und ihr Blick sucht im Halbdunkel zwischen den Kissen den Mund des Knaben. Der blutvolle, wulstige Mund steht offen. Es ist der Mund seines Vaters. Auch der geht jetzt fort, dann bleibt sie ganz allein, die Insel versinkt.
Die Mutter legt die Kleider auf den Stuhl. Sie ist am Ende ihres Lebens angelangt, weiß, daß sie sterben muß. Vielleicht in einem Jahr, vielleicht schon morgen. Ihre Beine sind dick, voller Wasser. Manchmal, in der Nacht, hört sie ihr Herz nicht mehr. Der Gedanke an den Tod ist ihr nicht mehr fremd, sie spricht darüber wie über eine nette, intime Familienfeier. Hat sich damit abgefunden, daß sie sterben wird; beunruhigend ist nur die Frage, was sein wird, wenn ihre Söhne dann eintreten, den Arzt und die Leichenwäscherin holen lassen, die alte Budenyik, die sie ausziehen und ihren schmächtigen Körper, die toten, aufgedunsenen Beine, die noch vor dem Geist und den Sinnen abgestorben sind, mit Essigwasser waschen wird. Sie denkt gar nicht daran, sich vor der Budenyik im Tod zu genieren, die war ja die Hebamme, hat sie nackter als nackt gesehen, als sie die Buben zur Welt brachte, sie gehört zur Familie, einerseits zur großen Familie der Frauen, andererseits zur Familie des Obersten Prockauer. Auch die Großmutter hat sie schließlich gewaschen. Lächerlich, denkt sie, Frau Budenyik wird ihre Arbeit tun, sie trockenlegen für den letzten Gang, ihr mit Essigwasser den Todesschweiß vom Leib waschen und nicht dulden, daß die Buben dabei im Zimmer bleiben. Dieses quälende Bild, daß die beiden vielleicht aus Pietät oder in unbeholfener Unschlüssigkeit im Zimmer bleiben, wenn die Budenyik sie wäscht, das ist in den Jahren der Krankheit, des ohnmächtigen Daniederliegens immer wiedergekehrt. Sie weiß, warum die Buben ihren entblößten Körper, egal, ob lebend oder tot, nicht sehen dürfen. Sie trägt stets hochgeschlossene Morgenröcke. Die Kinder haben sie nie gesehen, wenn sie sich gewaschen hat, auch niemals leicht bekleidet. Sie weiß, daß alles einstürzen würde, wenn ein Blick auch nur einen winzigen Spalt in die Trennwand reißt, die sie über Jahre zwischen ihrem Körper und den Söhnen gezogen hat. Die Knaben konnten in ihr nur so lange die Mutter sehen und nichts anderes, wie ihnen über dem Anblick des Fleisches nicht in den Sinn kam, daß auch die Mutter eine Frau war, eine, die ein Mann in die Arme schließen, der er Liebesworte ins Ohr flüstern und deren Körper er mit seinen Fingern liebkosen konnte. Wenn sie in ihrem Krankenbett daran dachte, mußte sie laut aufstöhnen. Sie würde, bevor sie starb, noch mit Frau Budenyik reden. Jetzt, wo auch der Kleinste von zu Hause wegging und in der Nacht mit einer fremden Frau geschlafen hat, spürt sie, daß sie den Widerstand aufgeben kann und der Tod nahe ist.
Mit großem Kraftaufwand geht sie in ihr Zimmer zurück und legt sich wieder ins Bett, von dem sie sich seit drei Jahren nur verstohlen erhoben hat, nachts, wenn die anderen schliefen. Ihre Buben sollen nicht wissen, daß sie sich noch bewegen kann. Sie glauben seit Jahren, daß sie ans Bett gefesselt sei. Das ist gut so, vorteilhaft für die Strategie, die sie ausgeklügelt hat, um die Familie zusammenzuhalten. Die Schlüssel versteckt sie unter ihrem Kissen, den Hypotheken-Kreditbrief über achttausend Kronen, ihre wenigen Preziosen, das schwarze Medaillon mit den eingelegten Brillantsplittern und die Ohrgehänge, ihre lange Goldkette und die kleine goldene Uhr, alles verbirgt sie unter ihrem Kissen. In einem ledernen Koffer unterm Bett verwahrt sie auch das Silber, das alte getriebene Blattsilber, den letzten Schimmer vom einstigen Glanz der Familie; das wenige Bargeld, das der Oberst monatlich von der Front nach Hause geschickt hat, trägt sie in einem hirschledernen Beutel auf der Brust. Dies ist alles. Was sich da insgeheim angesammelt hat, macht sie in ihrer scheinbaren Hilflosigkeit stärker. Daß sie im Bett liegt, verschafft ihr Überlegenheit und ist Teil ihrer zielführenden Strategie. Alles, der gesamte Blutkreislauf der Familie, pulsiert um ihr Bett herum. Seit drei Jahren liegt sie so, scheinbar hilflos. Sie weiß, es ist Krieg, doch tief im Innern hält sie das für einen Vorwand, der es ihrem Mann ermöglicht, sich herumzutreiben und nicht an ihrem Krankenbett sitzen zu müssen. Im letzten Jahr war auch der ältere Sohn unter diesem Vorwand weggegangen. Jetzt
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