Die Jungfernbraut
Wolken hervorgekommen, und sie konnte sein Gesicht deutlich erkennen. Er war bleich und sah schrecklich angespannt aus. Das Fieber hatte ihn wahnsinnig geschwächt. »Es braucht dir wirklich nicht peinlich zu sein, wenn du heute nacht nur neben mir schläfst und sonst nichts. Du darfst sogar schnarchen, wenn du willst. Mir macht es nichts aus, eine Jungfrau zu bleiben, bis du wieder bei Kräften bist.«
»Ausgezeichnet, denn heute nacht wäre ich wirklich überfordert.« Er fragte sich, warum er ihr eigentlich immer noch die Schenkelverletzung verschwieg. Jetzt bestand eigentlich kein Grund mehr dazu.
»Es sei denn« — sie lehnte sich an ihn und senkte die Stimme, in der vergeblichen Hoffnung, ein verführerisches Lächeln zustande zu bringen — »daß es dir Spaß machen würde, mir Anweisungen zu geben, was dabei zu tun ist. Meine Brüder haben immer gesagt, ich würde alles schnell lernen. Würde dir das gefallen?«
Er wollte lachen, brachte aber nur ein gequältes Stöhnen hervor.
Sinjun nahm an, daß das ein Nein sein sollte, und seufzte tief.
Der Gasthof White Hart stand mitten in dem kleinen Marktflecken Chipping Norton, der in den Cotswolds sehr hübsch gelegen war. Es war ein schönes, sehr malerisches Tudor-Gasthaus, so alt und rustikal, daß Sinjun hell begeistert war, aber zugleich ein Stoßgebet zum Himmel sandte, daß es nicht ausgerechnet in dieser Nacht einstürzen möge. Hierher kamen also viele junge Männer, die sich amüsieren wollten. Es sah wirklich sehr romantisch aus, dachte sie und seufzte wieder.
Keine Menschenseele war zu sehen, was um drei Uhr morgens nicht verwunderlich war. Trotzdem verspürte Sinjun vor Aufregung keine Müdigkeit. Es war ihr gelungen, ihrem Bruder zu entkommen, und das war eine beachtliche Leistung. Sie sprang behende aus der Kutsche und gab dem Kutscher Anweisungen, der zum Glück wenig Worte machte, aber mehr Geld als erwartet verlangte. Sie machte sich jedoch keine Sorgen. Wenn ihr das Geld ausging, würde sie einfach ihre Perlenkette verkaufen. Nichts war wichtiger als Colin und ihre Trennung mit ihm. Sie half ihm fürsorglich beim Aussteigen.
»Jetzt kommst du im Handumdrehen ins Bett. Vielleicht wartest du am besten hier, und ich gehe hinein und . . .«
»Nein«, fiel er ihr energisch ins Wort. »Ich werde selbst mit dem Wirt verhandeln. Er ist ein alter Wüstling, und ich will nicht, daß er auf falsche Gedanken kommt. Verdammt, ich wünschte, du hättest einen Ehering. Behalt die Handschuhe an. Du bist meine Frau.«
»In Ordnung.« Sie strahlte ihn an, runzelte dann aber die Stirn. »Du lieber Himmel, brauchst du Geld?«
»Ich habe welches.«
Trotzdem wühlte Sinjun in ihrem Handtäschchen und zog ein Bündel Banknoten hervor. »Hier. Mir ist es lieber, wenn du es aufbewahrst.«
»Komm, bringen wir's hinter uns, bevor ich auf die Schnauze falle. Und halt bitte den Mund.«
Während sie den stillen, dunklen Hof überquerten, bemerkte Sinjun erstmals, daß er stark hinkte. Sie öffnete den Mund, schloß ihn aber wieder, ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben.
Zehn Minuten später öffnete sie die Tür zu einem kleinen Zimmer mit dunklen Deckenbalken und trat zur Seite, um Colin den Vortritt zu lassen. »Ich glaube, der Wirt hält uns für Lügner«, sagte sie unbekümmert. »Aber du bist großartig mit ihm umgesprungen. Wahrscheinlich hat er Angst vor dir, Weil du als Edelmann gänzlich unberechenbar bist.«
»Ja, vermutlich hat der fette alte Karpfen gedacht, daß ich lüge.« Colin warf einen sehnsüchtigen Blick auf das Bett, spürte Joans Hände an seinem Mantel und blieb stehen. »Er würde ein Ehepaar wahrscheinlich nicht einmal erkennen, wenn er bei der Trauung anwesend wäre.«
»Laß mich dir helfen.« Obwohl ihre Fürsorglichkeit ihn irritierte, ließ er sie gewähren, denn er hatte nur den einen Wunsch, ins Bett zu fallen und eine Woche zu schlafen.
»Wenn du dich hinsetzt, ziehe ich dir die Stiefel aus.«
Das hatte sie oft genug bei ihren Brüdern getan. »Soll ich sonst noch etwas machen?«
»Nein«, erwiderte er hastig. »Dreh mir nur den Rücken zu.«
Sie kam seiner Bitte nach, zog Schuhe und Strümpfe aus, hängte beide Mäntel in den Schrank und drehte sich erst wieder um, als das Bett knarrte. Colin lag mit geschlossenen Augen auf dem Rücken, die nackten Arme über der Decke.
»Das ist alles sehr komisch«, sagte sie und stellte bekümmert fest, daß ihre Stimme sich dünn und besorgt anhörte — nach einer zimperlichen
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