Die Jungfrau im Lavendel
und füllte das Glas seiner Frau.
Juschi hob ihr Glas, betrachtete die goldene Flüssigkeit, lächelte dann und trank.
Männer waren törichte Wesen, das wußte sie gut genug. Seit achtzehn Jahren kannte sie nun das Drama dieses armen Kindes. Solange die alte Gräfin lebte, war nicht daran zu denken, daß man das Kind je zu sehen bekam. Aber dann? Warum hatte sie sich eigentlich dann niemals darum gekümmert?
Das eigene Leben war so erfüllt gewesen. Die großen erfolgreichen Berufsjahre ihres Mannes mit allen dazugehörenden gesellschaftlichen Verpflichtungen, die Entwicklung der Kinder, ihr Studium, ihre Ehen, alle die Sorgen und Freuden in der eigenen Familie hatten sie ausreichend beschäftigt. Dazu kam ihre ausgeprägte Abneigung gegen diese Frau, die Ferdinand geheiratet hatte, sie war ihr dreimal begegnet, und es war jedesmal ein Fiasko gewesen. Auf diese Weise vergaß man das arme Kind, das keiner haben wollte.
Aber nun hatte Juschi einen Entschluß gefaßt. Sie würde keinen fragen und es keinem sagen, na, vielleicht ihrem Mann, sie würde einfach mal dorthin fahren in dieses Kloster und sich das Mädchen ansehen. Am besten bald, solange noch Ferien waren. Auch der Oberst war nahe dran, einen folgenreichen Entschluß zu fassen. Er schob wieder einmal die Hand in die Brusttasche, wo sich der Brief befand. Mein liebes Kind …
So vieles hatte er seinem Freund und Juschi im Laufe der Jahre anvertraut, aber sie wußten bis heute nicht, daß Anita ihm schon zweimal geschrieben hatte, daß sie nach ihrer Tochter fragte. Und daß ihrem dritten Brief ein Brief für Virginia beilag.
Er schämte sich, darüber zu sprechen. Denn er hätte Virginia den Brief geben müssen, er durfte ihr ihn nicht vorenthalten. Ludwig würde es eine Unterschlagung nennen. Und Juschis entsetzte Augen konnte er sich leicht vorstellen.
Vielleicht wenn er mit ihnen allein gewesen wäre, wenn die Söhne nicht dabei wären …
Vielleicht morgen.
Vielleicht aber auch nicht.
Er senkte den Blick, sein Gesicht wurde noch fahler, nun begannen wieder die bohrenden Kopfschmerzen.
»Noch ein Glas Wein?« fragte Ludwig.
»Ja, danke, gern.«
Er leerte das Glas fast auf einen Zug, Ludwig füllte es wieder und blickte den Freund bekümmert an.
Juschi dagegen trank mit höchst zufriedener Miene ihr Glas aus. Sie würde mit diesem Mädchen sprechen. Sie würde sagen: Ich kenne deinen Vater, und nun möchte ich dich gern kennenlernen. Wenn du wirklich Talent hast und malen willst, wir haben in München eine sehr gute Akademie, und ich kenne sogar ein paar von den Professoren, und falls du dort studieren willst, kannst du bei uns wohnen. Wir haben Platz genug, meine Kinder sind erwachsen, und mir fehlt manchmal sowieso eine Tochter im Haus, und ich …
Juschi lächelte verträumt über den Tisch hinweg. Daß sie da nicht schon früher draufgekommen war! Sie war doch sonst nicht so blöd.
Ihr Mann betrachtete sie mit freundlicher Gelassenheit. Er kannte sie sehr, sehr gut. Und er ahnte, was in ihrem Kopf vorging.
Nur kam Juschi leider zu spät. Als sie in Enzensbach eintraf, war Virginia nicht mehr dort.
Die Lüge
Am Tag nach dem Geburtstag, es war wieder ein warmer Sommertag, fuhr Virginia mit den Zwillingen ins Schwimmbad nach Gollingen. Sie hatten selbstverständlich Anna-Luisa aufgefordert, sie zu begleiten, doch die hatte sich freiwillig zum Unkrautjäten im Klostergarten gemeldet.
Sabine tippte sich an die Stirn.
»Am hellen Nachmittag und bei der Hitze! Die spinnt wie immer.«
Sie fuhren mit den Rädern, abwärts nach Gollingen ging das sehr flott, heimzu würden sie die meiste Zeit schieben müssen. Trotzdem landeten sie nach dem Schwimmen vor dem Fenster des Gollinger Schuhgeschäftes.
»Die meine ich«, sagte Virginia.
»Hm, schicke Schuh«, befand Barbara. »Ich weiß zwar nicht, wann und wo die du hier anziehen willst, aber wenn du sie partout haben willst, dann kauf sie dir halt.« Virginia zog ihr Portemonnaie aus der Badetasche und zählte ihr Geld. Das war das gesparte Taschengeld, da war der Schein, den ihr Vater ihr am Tag zuvor zum Abschied gegeben hatte, doch es reichte nicht ganz.
»Also wir können dir was pumpen, nicht Bine?« meinte Barbara.
»Erst mal sehen, ob sie deine Größe haben und wie sie dir gefallen, wenn du sie anhast«, sagte die praktische Sabine. Sie verschwanden alle drei im Laden.
Danio, der schräg gegenüber unter der Einfahrt des Hotels ›Grundlwirt‹ stand, hatte sie beobachtet. Was
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