Die Jungfrau im Lavendel
für eine glücklicher Zufall. Den ganzen Tag lang hatte er darüber nachgedacht, wie er nun eigentlich an das Mädchen herankommen sollte. An das Schwimmbad hatte er nicht gedacht, solch eine Einrichtung existierte für ihn sowieso nicht, außerdem nahm er an, die Klosterschülerinnen seien streng eingesperrt und dürften ohne Begleitung nirgendwohin gehen.
Von Frankreich aus hatte die Sache ganz einfach ausgesehen. Mit Dido hatte er ausführlich gesprochen, sie hatte in ihrer dramatischen Art beide Hände gespreizt und gerufen: »Wie stellst du dir das vor? Du kommst dahin, und sagst: Schönen Gruß von Ihrer Mutter, ich soll Sie abholen, damit Sie Mama für ein paar Tage besuchen. Du denkst, sie darf einfach mit dir losfahren? Erst müßtest du die Vorsteherin von dem Kloster, eine Äbtissin oder so was, um Erlaubnis fragen. Und die würde sich ja dann wohl erst mal mit der Mutter in Verbindung setzen. Nein, da müßte Madame sich schon selbst hinbemühen. Nur weiß sie eben nicht, wo sich das Goldstück befindet.«
»Aber sie kann es jeden Tag erfahren. Und wenn der Alte ihr den Brief zum Geburtstag hinschickt, dann ist sowieso alles im Eimer.«
Danio wußte von den Briefen, die Anita an ihren früheren Mann geschrieben hatte, er wußte auch von dem Brief an die Tochter, den diese zum Geburtstag erhalten sollte. Anita hatte darüber geredet, manchmal ruhig, manchmal auch im Zorn, der sich bei ihr sehr schnell einstellte.
»Wenn der alte Nußknacker mir nicht endlich sagt, wo er Virginia versteckt hält, dann fahre ich selbst nach Deutschland, direkt zu ihm, und mache einen Riesenskandal.«
Das war etwa vor einem Vierteljahr gewesen, der Geburtstagsbrief sollte der letzte friedliche Versuch sein. Wieder hatte Danio gesagt: »Du weißt doch gar nicht, ob deine Tochter noch lebt. Als du sie das letztemal gesehen hast, war sie vier Monate alt.«
»Warum sollte sie denn nicht mehr leben?«
»Denk doch nur mal, was Kinder alles für Krankheiten haben können. Wir waren zu Hause acht, und davon sind nur fünf groß geworden.«
»Gott, bei euch da«, sagte sie verächtlich.
Er schluckte das stumm hinunter, murmelte nur noch: »Du hast selbst gesagt, sie sei ein sehr zartes, schwächliches Kind gewesen.«
»Schwächlich habe ich überhaupt nicht gesagt. Du hättest ihren Vater sehen sollen, solch ein Mann, groß und stark, und so schön.«
Danio verzog das Gesicht. Er konnte sich nicht vorstellen, daß es jemals einen Mann gegeben haben sollte, der schöner war als er.
Und dann kam jener verhängnisvolle Satz, den er nicht mehr vergessen sollte.
»Wenn sie wirklich nicht mehr lebt, dann wirst du mein Erbe sein. Der brasilianische Clan hat genug, die kriegen von mir nichts. Dazu haben sie sich viel zu rotzig zu mir benommen.«
»Du wirst noch lange leben, bellissima. Wenn ich auf diese Erbschaft warten wollte, dann wäre ich längst ein alter Mann.«
Darauf schwieg Anita, und wie manchmal in letzter Zeit sah er den Zug von Sorge in ihrem Gesicht, den er zuvor nie gekannt hatte. Warum wohl fuhr sie zu diesem Arzt nach Paris? Gab es an der Côte nicht auch gute Ärzte? »Außerdem müßten wir heiraten. Oder denkst du, die südamerikanische Verwandtschaft würde solch ein Testament nicht anfechten?«
»Wenn wir verheiratet wären, könntest du mich schön langsam ein bißchen umbringen, dann bekommst du das Geld, bevor du ein alter Mann bist.«
Daraufhin machte er eine große Szene und war den ganzen Abend lang beleidigt.
Warum war sie so mißtrauisch, warum glaubte sie ihm seine große Liebe nicht? Und warum eigentlich wollte sie in letzter Zeit nicht mehr mit ihm schlafen?
Was ihn vor allem so unsicher machte, war die Frage: Wußte sie von Dido, oder wußte sie es nicht?
Er kannte Didos verheerendes Temperament, er wußte, daß Dido ihn besitzen wollte mit Haut und Haar, und daß sie nur aus Geldgier sein Verhältnis zu der älteren Frau duldete. Das Geld wollte sie auch, und sie wollte es bald. Sie hatte schon feste Pläne, was man damit anfangen würde. Ein Restaurant mit vier Sternen, berühmt an der ganzen Côte, das wollte sie haben. ›Dido et Danio‹. Sie war sechsundzwanzig, und sie wollte endlich aus der Verbannung, aus dem trostlosen Leben heraus.
Pieds noirs, das verächtliche Wort, mit dem man die Algerienfranzosen hier bezeichnete, die als arme Flüchtlinge nach Frankreich gekommen waren, war ihr unbeschreiblich verhaßt. Danio wollte das Restaurant nicht, das Geld würde für ihn ein
Weitere Kostenlose Bücher