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Die Jungfrau im Lavendel

Titel: Die Jungfrau im Lavendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danella Utta
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Ferme ging es über eine spärlich bewachsene Wiese, auf der die Ziegen weideten, bergab, die Wiese endete in dichtem Buschwerk, und hinter den Büschen ging es steil eine Felswand hinab. Bis zu diesem Abhang und ein Stück in den Eichenwald hinein war Dido hin und wieder gegangen, weiter noch nicht. Die Landschaft war hart und unzugänglich, wirkte deprimierend auf sie. Wie schön war es zu Hause auf ihrem Gut gewesen, mit den Orangenhainen, den Rebhängen, dem weißen, weiten Haus mit dem großen viereckigen Innenhof, dem gut geschulten Personal, das sie von Kindheit an umgeben hatte. Nun lebte sie hier wie eine Verbannte.
    Auch das Dorf bot keine Abwechslung, wenn man es überhaupt noch ein Dorf nennen konnte; eine Ansammlung von elf lose stehenden Häusern, von denen nur noch drei bewohnt waren. Wer mochte es auch in dieser Abgeschiedenheit aushalten, junge Leute schon gar nicht. Da waren die Bertins, ein altes Ehepaar, das seinen kleinen Hof noch einigermaßen in Ordnung hielt, sie hatten ebenfalls ein paar Ziegen, einen struppigen Hund und zwei Katzen. In dem kleinsten Haus, ganz am Ende des Dorfes, wohnte Mère Crouchon, krumm von Gicht; sie lebte von dem Geld, das ihr Sohn jeden Monat aus Marseille schickte. Boulangerie und Epicerie in Lassange, das ungefähr acht Kilometer entfernt lag, schickten der Alten mit dem Postauto herauf, was sie zum Leben brauchte, und der Postbote beglich ihre Rechnungen, wenn sie jeweils das Geld aus Marseille erhielt. Ziegenmilch und Käse bekam sie von den Bertins, und zu einem Glas Wein und einem Schwätzchen lud Chariot sie ein. Chariot, der ehemalige servant der Kirche in Lassange, war der dritte Bewohner des Dorfes. Er lebte seit fünf Jahren hier draußen und war mit seinen zweiundsiebzig Jahren der Jüngste der vier.
    Im Krieg hatten die Deutschen ihn eingesperrt und mißhandelt, weil er, getarnt durch sein frommes Amt, allerhand geheime Botschaften für den Maquis übernommen hatte, und obwohl man drohte, ihn zu erschießen, verriet er nichts und niemand, auch nicht das geheime Versteck, das sich just in jener verlassenen Ferme befand, in der Dido jetzt hauste.
    Eine Zeitlang sperrte man ihn ein, dann befreiten ihn die Kämpfer der Résistance, und schließlich war der Krieg endlich vorbei.
    Chariot, der bis auf einen gebrochenen und schlecht verheilten Arm alles gut überstanden hatte, war zunächst ein Held, bis die Leute seine Heldentaten nach und nach vergaßen, wie sie den Krieg vergaßen. Nachdem seine Frau gestorben war und seine Tochter sich auf den Weg nach Paris gemacht hatte und nie mehr etwas von sich hören ließ und als schließlich noch der alte Priester starb, zog er hinaus ins Dorf.
    Das ging so vor sich: er kam herausgewandert, betrachtete die leerstehenden Häuser, eins nach dem anderen, und suchte sich das aus, das ihm am handlichsten erschien, also nicht zu groß war, einen anständigen Herd besaß und eine Pumpe, die nicht zu weit vom Haus entfernt war. Dann besuchte er die Bertins und die alte Crouchon, die er natürlich kannte, und fragte, ob sie etwas dagegen hätten, wenn er sich bei ihnen und justament in diesem Haus niederließe. Hatten sie nicht. Im Gegenteil, er bereicherte die Bevölkerung des Dorfes ganz beträchtlich, immerhin war er ein Mann, der etwas erlebt und daher auch zu erzählen hatte.
    Er brachte einen dunkelgestromten Kater mit, ein bildschönes Tier, dieser und die Katzen der Bertins sorgten dafür, daß das Dorf immer belebter wurde, belebt von Katzen aller Farben und Größen; der Bertinsche Hund hatte sich längst daran gewöhnt, ein geduldetes Schattendasein zu führen.
    Der ehemalige Meßdiener Chariot liebte nicht nur seinen Kater und alle seine Abkömmlinge, er liebte auch die Natur, den Wald mit seinen Stein- und Korkeichen, mit den Aleppokiefern, er ging gern über die Wiesen mit dem harten Gras und die felsigen Pfade hinauf, die ihn hierhin und dorthin führten, er kannte die jähen Abstürze und die wunderbaren Ausblicke, die sich plötzlich erschlossen, wenn man nur weit genug gegangen war. So weit wie er kam sonst keiner, wer kannte schon das alte Ruinengemäuer tief drinnen im Wald, auf der Höhe ihres Berges. Keiner wußte mehr, wer das Kastell einst erbaut und darin gehaust hatte, Chariot jedoch behauptete hartnäckig, es müßten gewiß die alten Römer gewesen sein. Da keiner die Ruine kannte und keiner ihn auf dem mühseligen Weg begleitete, widersprach ihm auch keiner. Es interessierte sie auch nicht im

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