Die Jungfrau im Lavendel
ihrem Bruder zu essen geben konnte. Auf jeden Fall mußte sie nachher nach Lassange fahren zum Bäcker und zum Metzger. Sie glättete das Lager, wo Danio gelegen hatte, schüttelte das Kissen aus. Befriedigt blickte sie sich um. Nun sah alles wieder ordentlich aus.
Ob sie sich eine Tasse Kaffee kochte? Sie konnte sich ebensogut für einen Moment hinlegen und noch ein bißchen nachdenken über alles, was in dieser Nacht geschehen war. Sie lag kaum, da schlief sie mit einem glücklichen Lächeln ein.
Chariot, der eine Weile später des Weges kam, um nachzuschauen, was sich heute nach dem Regen im Wald wohl finden ließ, Pilze, Beeren oder ein Bach, in dem sich wieder Wasser befand, sah die Tür zur Ferme weit offen stehen. Er spähte hinein, im Vorraum war keiner, auch links die Küche war leer, obwohl da noch ein paar leckere Sachen herumstanden. Er steckte den Finger in die Gänseleberpastete, schleckte, schmatzte und entschloß sich dann, das ganze restliche Stück in den Mund zu stecken. Das verdarb sowieso in der Hitze, wenn sie das einfach hier so stehen ließ. Der Schinken war auch nicht schlecht.
Er sah auch die benutzten Gläser auf dem Tisch. Es war Besuch da gewesen, offensichtlich die ganze Nacht. Er hatte vorhin ein großes schwarzes Auto durch das Dorf fahren sehen. Er wischte die Finger an seiner Jacke ab und entdeckte gleichzeitig, daß eine der Weinflaschen noch halb voll war. Er hob die Flasche an den Mund und trank. Bißchen warm. Aber ein vorzüglicher Wein. Er musterte das Etikett und nickte zufrieden. Anstandshalber blickte er noch in den Wohnraum, dessen Tür ebenfalls weit geöffnet war.
Himmel, da lag sie und schlief. Wie schön sie war! Das dunkle Haar weit gefächert über dem Kissen. Das Fähnchen, das sie anhatte – na, man durfte eigentlich nicht hinsehen als gottesfürchtiger Mann, es reichte nicht einmal bis sonstwohin. Er beschloß, als ehrlicher Mann, auf dem Rückweg vorbeizugehen und ihr zu sagen, daß er es war, der alle Reste aufgegessen hatte. Wenn sie es überhaupt gemerkt hatte, daß Reste da gewesen waren und daß sie nun verschwunden waren.
Es mußte eine anstrengende Nacht gewesen sein.
Alain
Alain schlief nicht lange. Er war daran gewöhnt, kurz und konzentriert zu schlafen und beim geringsten Geräusch auf den Beinen zu sein.
Heute störte ihn nichts, doch nach vier Stunden wachte er auf, erfrischt und erholt. Er blickte sich um, verspürte eine leise Wehmut. Hier hatte sein Vater geschlafen; der Raum war nur mit dem Nötigsten eingerichtet, das Lager schmal und hart. Während des Krieges zog er sich nur hierher zurück, wenn mindestens zwei Mann draußen waren, um Wache zu halten. Sehr oft waren sie nicht hier gewesen, sie verfügten noch über andere Verstecke. Die Ferme bedeutete immer eine gewisse Gefahr, gerade weil sie so am Ende eines Weges lag, in einem Winkel gewissermaßen, von wo aus man nur noch die Wahl hatte, in unwegsame Berge zu fliehen oder in einen Abgrund zu springen. Sie aber mußten beweglich sein, gut motorisiert vor allem, auch in der Lage, unauffällig Verpflegung herbeizuschaffen, in all diesen Punkten war die Ferme unbrauchbar. Trotzdem hegte sein Vater eine gewisse Liebe zu diesem Ort. Einmal hatte er gesagt: »Wie ein Fuchs in seinem Bau, so kann man sich hier verkriechen. Aber genauso wie der Fuchs in seinem Bau leicht ausgeräuchert werden.«
Hier hatten sie das zweite Attentat auf de Gaulle geplant, bei dem sein Vater ums Leben kam und er selbst gefangen wurde. Da war es sowieso schon zu spät, Algerien war für sie verloren. In den Jahren, die vergangen waren, hatte Alain einiges dazugelernt. Er begriff nun, daß die Entkolonisierung nicht aufzuhalten war, das betraf ja nicht Frankreich allein, es ging allen Großmächten so, die im Jahrhundert zuvor ihre Macht und ihren Reichtum durch Kolonien vermehrt hatten. Und das, was sie für diese zurückgebliebenen Länder geleistet hatten, alles, wovon sie meinten, es müsse anerkannt werden – Bildung, Schulen, Krankenhäuser, Studienmöglichkeit für begabte junge Leute der beherrschten Völker –, all das galt nun nicht mehr, diese Völker wollten frei sein, arm, unentwickelt, in ihre eigenen Kämpfe verstrickt, so wie es ja überall gekommen war, aber dabei vor allem eins: frei.
Es war seltsam, Frankreich hatte Tunesien und Marokko ohne Zögern in die Freiheit entlassen, nur Algerien, davon wollte man sich nicht trennen. Immer wieder die hartnäckige Behauptung: Algerien ist
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