Die Jungfrau im Lavendel
habe auch im Ernst nicht vermutet, daß du auf der Ferme bist. Daß eine schöne junge Frau wie du es in der Einsamkeit aushalten könnte.«
»Deinetwegen blieb ich hier. Wo solltest du mich finden?«
Er legte den Arm um sie.
»Hier. Und ich habe dich gefunden.«
Er küßte sie zärtlich.
»Die Unruhen, die Straßenkämpfe in Paris und anderswo, ließen es mich wagen, nach Frankreich zurückzukehren. Ich dachte mir, die Polizei hat zur Zeit Beschäftigung genug. Und als ich in Paris war, dachte ich mir: Schau in der Ferme Confiance nach, vielleicht findet sich eine Nachricht von Dido.«
›Confiance‹, so hatte ihr Vater diesen Ort genannt. Dido traten die Tränen in die Augen. Und ob die Ferme den Namen Vertrauen verdiente!
»Wie bist du hergekommen?«
»Mit einem Motorrad. Es steht da drüben unter den Bäumen.«
»Du wirst müde sein. Willst du etwas trinken?«
»Bring mir Wasser.«
»Nicht lieber Wein? Oder soll ich dir Kaffee machen?«
»Später, wenn ich geschlafen habe. Jetzt möchte ich kühles Wasser aus unserer Zisterne. Ich wäre schon früher gekommen, aber das Gewitter hielt mich fest, oben hinter dem Verdon. Ich kenne da eine kleine Brücke, aber sie war total überschwemmt, ich mußte einen Umweg fahren.«
Als sie das Wasser brachte, fragte sie: »Willst du nichts essen?«
»Später. Jetzt schlafe ich ein paar Stunden. Und dann werden wir lange reden. Ich werde dir alles erzählen, und du wirst mir alles erzählen.«
Bis er aufwacht, muß Danio aus dem Haus sein, dachte Dido. Und ich muß Alain die Geschichte mit dem Mädchen erklären, ohne ihn direkt anzulügen.
Eine schwere Aufgabe.
Er trank das Wasser, stand auf und reckte sich.
»Das Wasser der Confiance. Von meiner Schwester kredenzt. Weißt du, welche Angst ich hatte, dich niemals wiederzufinden?«
Sie stand ebenfalls auf und trat neben ihn.
»Weißt du, welche Angst ich hatte, du könntest tot sein? Ich wäre nie von hier fortgegangen, solange ich hoffen konnte, du würdest eines Tages kommen.«
»Nun werden wir uns nie wieder trennen«, sagte er mit Bestimmtheit. »Wir werden zusammen fortgehen und uns eine neue Heimat suchen.«
Sie fragte nicht, wie er sich das vorstellte, ein entflohener Sträfling mit falschen Papieren, ein Mann, den man jede Minute verhaften konnte.
Er fragte nicht danach, ob sie in dem Leben, das sie nun seit Jahren führte, ganz auf sich selbst gestellt, vielleicht Bindungen eingegangen war, ob es möglicherweise einen Mann in ihrem Leben gab, von dem sie sich nicht trennen wollte. Die Selbstherrlichkeit der Valmeraines – Vertreibung und Exil hatten daran nichts geändert.
Und auch nicht den Hauch eines Gedankens verschwendete Dido an den Mann, der da drinnen schlief. Schon an diesem Morgen hatte sie Danio aus ihrem Leben gestrichen wie ein überflüssiges Komma aus einem Satz.
»Du hast das Motorrad gut versteckt?«
»Ja. Tief im Gebüsch.«
»So geh außen herum um das Haus. Ich mache dir hinten ein Fenster auf. Es war der Raum, in dem Vater immer schlief, wenn er hier war. Weit genug vom Eingang entfernt, mit wenigen Schritten ist man im Wald. Vaters Lager ist sauber. Ich habe seine Decken immer ausgeschüttelt.«
Er stellte keine Fragen mehr wegen der beiden anderen, die hier im Haus schliefen. Er würde es erfahren. Eine Weile später lag er in einem der hinteren Räume der Ferme, auf seines Vaters Lager. Dido beugte sich über ihn und küßte ihn. »Schlaf gut. Wenn du aufwachst, bekommst du wunderbar zu essen.«
»Darauf freue ich mich. Ich habe lange genug in England gelebt.«
Dido war nicht müde. Zuerst versorgte sie die Ziegen, ließ sie dann hinaus auf die Wiese. Anschließend machte sie einen Rundgang um das Haus, zog den Bogen immer weiter. Nichts rührte sich. Im Wald suchte sie nach dem Motorrad. Er hatte es so gut versteckt, daß auch sie es nicht fand.
Eine Weile saß sie auf der Schwelle des Hauses, den Kopf in die Hände gestützt, und überlegte. Ausgerechnet jetzt kam Danio mit diesem Mädchen. Dieser Dummkopf! Brachte dieses Kind hier an. Hoffentlich war Anita zurück. Dann konnte er sogleich mit der kostbaren Tochter nach unten verschwinden. Und sich überlegen, welche von beiden er nun heiraten sollte. Möglicherweise wollten sie ihn beide nicht, er bekam vielleicht eine kleine Belohnung und konnte verschwinden. Wurde nicht mehr gebraucht. Madame Anita war dann eine Mutter, und die Kleine begann ein ungewohntes Luxusleben.
Mein Problem ist es nicht mehr, dachte
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