Die Jungfrau im Lavendel
sich dann einiges verändert.«
Es war unmöglich, von Anita zu erzählen, welche Rolle sie in Danios Leben spielte, und daß sie, Dido, in den letzten zwei Jahren nicht schlecht von Anitas Geld mitgelebt hatte.
Würde ihr Bruder begreifen, daß alles, was sie erlebt hatte, zerstörend und demoralisierend auf einen jungen Menschen wirken mußte? Sie war auf solch ein Leben nicht vorbereitet gewesen, aber sie hatte sich ändern müssen, so wie ihre Lebensumstände sich geändert hatten.
Sie war dreizehn gewesen, als der Krieg begann, der wirkliche Krieg, denn Unruhen hatte es praktisch seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gegeben. Doch sie hatte wenig davon gewußt, sie lebte behütet und beschützt, sie besuchte das Lycée in Constantine, sie wurde dorthin gefahren und wieder abgeholt, ihre Mitschülerinnen waren Mädchen ihrer Kreise, genauso behütet wie sie selbst.
Das Land war so groß. Auch wenn immer und überall gekämpft wurde, auf dem Gut merkte sie nichts davon. Als sie sechzehn war, sprach ihr Vater davon, sie nach Frankreich in ein Pensionat zu schicken, aber sie wollte nicht fort. Wirklich hoffte damals noch jeder, auch Albert de Valmeraine, daß Frankreich der Aufstände Herr werden wurde. 500.000 Mann Militär hatte Frankreich am Ende in Algerien stationiert, fast die gesamte Armee. Doch immer grausamer wurde der Krieg geführt, von beiden Seiten, die Gefangenen gequält, gefoltert und ermordet, schließlich wagten selbst jene Algerier, die gern bei Frankreich geblieben wären, und die gab es auch, nicht mehr von Versöhnung zu sprechen.
Dies alles hatte Dido lange Zeit gar nicht, und dann nur in abgemilderter Form erfahren, um so vernichtender war dann die erbarmungslose Wirklichkeit – die Heimat verloren, den Vater, den Bruder, ganz allein auf einmal in einer fremden feindlichen Welt.
Sie war einundzwanzig, als sie auf die Ferme kam, einsam und von allem verlassen, das zu ihr gehört hatte. Warum hätte sie sich nicht in Danio Carone verlieben sollen, Danio mit seiner tröstenden Stimme, seinen zärtlichen Händen, seinem Charme und schließlich seiner Leidenschaft? Er war ein italienischer Kellner, ein Spieler dazu, kein Mann für Dido de Valmeraine, aber sie hatte ihn geliebt. Sicher würde Alain das begreifen, wenn sie es ihm erzählte. Das schon, nur nicht, wie sie sich verhielt, nachdem Anita in Danios Leben gekommen war. Das würde weitaus schwerer zu erklären sein.
Für den Augenblick jedoch wurde Dido eine Fortsetzung ihrer Geschichte erspart, denn die Tür zum Nebenzimmer öffnete sich langsam, auf der Schwelle erschien Virginia, in dem kurzen weißen Hemdchen, das Dido ihr übergestreift hatte. Sie lehnte am Türrahmen, sie sah zum Gotterbarmen aus und sie flüsterte: »Entschuldigen Sie bitte, aber ich weiß gar nicht … wo bin ich denn eigentlich?«
Sie sprach deutsch, und ehe Dido eine Antwort überlegt hatte, schwankte Virginia, Alain sprang schnell hinzu und fing sie auf.
»Oh, danke«, murmelte Virginia höflich. »Es ist nichts. Mir ist nur ein wenig schwindlig.«
Alain betrachtete sie genau, sah ihre glasigen Augen und sagte: »Sie hat eine Gehirnerschütterung, sie muß sich sofort wieder hinlegen.«
»Das hat mir gerade noch gefehlt«, sagte Dido.
Gemeinsam brachten sie das Mädchen ins Bett zurück, legten sie vorsichtig wieder hin.
»Sie muß zunächst liegenbleiben«, ordnete Alain an. »Und sie braucht bestimmte Tabletten, ich werde dir aufschreiben, wie sie heißen, und du mußt sie dann in einer Apotheke besorgen. Und stell ihr einen Eimer ans Bett, sie kann jetzt nicht hinaus zur Toilette gehen.« Denn die Toilette der Ferme war hinter der Scheune.
»Dann legst du ihr ein kühles Tuch auf den Kopf. Und wenn das alles geschehen ist, wirst du mir mal erklären, wer dieses Mädchen ist und was du damit zu tun hast.«
Alain schüttelte mißbilligend den Kopf, als er alles gehört hatte.
»Dido, wie kannst du dich an solch einer dummen Sache beteiligen?«
»Ich habe ihm doch nicht geraten, er soll sie mitnehmen und mit ihr hier ankommen. Denkst du, mir macht das Spaß? Das einzige, was ich getan habe, ich bat Pierre herauszufinden, wo sie ist. Ob es sie überhaupt gibt. Wir wußten ja gar nichts. Auch Madame Anita nicht.«
»Na gut, wenn Madame Anita so eine wohlhabende Frau ist, konnte sie ja einen Detektiv beauftragen. Oder sich am besten an ihren früheren Mann wenden.«
»Das hat sie ja getan. Und nie eine Antwort bekommen.«
»Ich verstehe immer
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