Die Jungfrau von Zesh
angetrieben von zwei gelben dreieckigen Segeln und zwei Reihen Rudern. Als sie allmählich größer wurde, konnte Althea die Passagiere erkennen, die sich an Bord drängten: vornehme Leute in Samtgewändern und mit Schwertern an der Seite; Arbeiter in Lendenschurzen; Seemänner mit Leibbinden und turbanartigen Kopfbedeckungen – und sogar ein terranischer Tourist mit zerknittertem weißen Anzug und der unvermeidlichen Kamera um den Hals.
Althea stand ein wenig abseits von den beiden und beobachtete das Anlegen der Barke. Während der vergangenen fünf Tage hatten die Männer ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nicht bekehrt zu werden wünschten. Althea war nicht aggressiv genug, ihnen eine Doktrin aufzudrängen, an der sie selbst insgeheim ihre Zweifel hatte. Bahr konnte über sein Fachgebiet reden, jedoch geschah dies in der Regel auf einem derart abgehobenen abstrakten Niveau, dass die anderen schnell die Lust verloren und sich gelangweilt fühlten. Und Kirwan, der gesprächigste von den dreien, nervte seine beiden Mitreisenden ständig mit seinen Prahlereien und seinen cholerischen Beleidigungstiraden, die er immer dann abließ, wenn er sich auf den Schlips getreten fühlte – und das war nicht gerade selten.
Die Fähre stieß mit ihrem abgeplatteten Bug gegen den Steg, und die Passagiere Strömten von Bord. Die, die auf der Mole gewartet hatten, entrichteten bei einem piratenhaft anmutenden Kapitän, der sich breitbeinig auf dem Niedergang aufgebaut hatte, ihr Fahrgeld und stiegen ihrerseits an Bord. Als die Kutsche sich in Bewegung setzte, unterstützt von mehreren Besatzungsmitgliedern, die in die Speichen griffen, um das Vehikel über die Rampe zu schieben, entbrannte plötzlich ein wütendes Wortgefecht zwischen dem Kutscher und dem Fährmeister.
»Was ist los?« fragte Kirwan auf Brasilo-Portugiesisch.
»Dieser Schurke hier will den doppelten Tarif für Kutschen kassieren. Er meint, die reichen Erdbewohner könnten sich eine kleine Extragebühr schon leisten.«
»Was?« brüllte Kirwan. »So ein mieser Halsabschneider! Lasst mich mal ran; dem werde ich was erzählen!« Woraufhin der Poet in einem wüsten Kauderwelsch aus Englisch, Portugiesisch und Gozashtando auf den Kapitän einbrüllte: »Tamates, hishkako baghan! Glaubst du, ich deixe voce, dass du mich übers Ohr haust?«
Mit leicht verwirrter Miene schaute der Kapitän hilfesuchend auf den Kutscher, der übersetzte. »Er versteht Euch nicht.«
»Was, der versteht nicht mal seine eigene Sprache, und das, da ich sie doch fließend spreche?« fragte Kirwan mit echtem Erstaunen. »Der Kerl muss schwachsinnig sein.«
Jetzt wandte sich Bahr in gewähltem Gozashtando an den Kapitän. »Guter Mann, ich bitte Euch, zieht keinen Vorteil aus unserer Notlage. Sind wir doch keine reichen Touristen, die man getrost ausnehmen kann, sondern gehetzte Flüchtlinge, die die Rache ihrer eigenen Rassengenossen fliehen, und als solche haben wir ein Anrecht auf Euer Verständnis und Eure Barmherzigkeit.«
»Vor wem seid Ihr auf der Flucht?« fragte der Kapitän.
»Seht Ihr dieses arme Mädchen? Sein grausamer Gespons schwor, es zu töten, als er von unserer Liebe zu ihm erfuhr; also entrissen wir es seinen blutrünstigen Klauen. Aber er ist uns dicht auf den Fersen und …«
»Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr beide ihre Liebhaber seid?« japste entsetzt der Kapitän. »Ich dachte immer, Ihr Terraner wäret strikte Anhänger der Monogamie.«
»Das ist richtig, guter Mann, doch unser beider Liebe zu ihr ist von solcher Inbrunst, dass sie es nicht verantworten konnte, einen von uns beiden zurückzuweisen, würde doch der so Verschmähte an gebrochener Leber zugrunde gehen. Ihr werdet doch gewiss nicht …«
Althea zuckte zusammen, als der Inhalt seiner Worte ihr in seiner ganzen Tragweite ins Bewusstsein drang.
»Nein, nein, geht schon an Bord«, sagte der Kapitän. »Ich werde Euer Fahrgeld aus meiner eigenen Tasche bezahlen, so heftig hat Eure Geschichte an meiner Leber gerührt. Hurtig jetzt!«
»Großer Gott!« seufzte Althea. »Doktor Bahr, Sie haben mich nicht nur als Ehebrecherin hingestellt, sondern auch noch als Nymphomanin! Wenn sich das in Missionskreisen herumspricht …«
»Dann ist deine Missionarskarriere im Eimer«, vollendete Kirwan mit zufriedenem Grinsen. »Das beste, was dir passieren kann.«
Althea stieß einen Seufzer aus. Das Leben auf der Erde mochte ja seine schwachen Seiten gehabt haben, aber es war von geradezu wohltuender
Weitere Kostenlose Bücher