Die Jury
meisten anderen Studentinnen von Ole Miss. Doch es dauerte nicht lange, bis sie sich als freundliche, sympathische junge Frau zu erkennen gab, der es nur an Selbstbewußtsein mangelte. Jake hatte nie verstanden, wieso man unsicher sein konnte, wenn man so hinreißend aussah wie Carla. Sie studierte Geisteswissenschaften und wollte später nur einige Jahre lang unterrichten. Carlas Familie besaß eine Menge Geld, und ihre Mutter hatte nie gearbeitet. Das übte großen Reiz auf Jake aus: Reichtum und das völlige Fehlen von beruflichem Ehrgeiz. Er wünschte sich eine Frau, die zu Hause blieb, ihre Schönheit bewahrte, die Kinder erzog und nicht versuchte, das familiäre Kommando zu übernehmen. Es war Liebe auf den ersten Blick.
Aber sie hielt nichts von Alkohol. Ihr Vater hatte getrunken, als sie ein Kind gewesen war, und damit verbanden sich bittere Erinnerungen. Aus diesem Grund rührte Jake während des letzten Semesters keinen Tropfen mehr an und nahm siebeneinhalb Kilo ab. Er sah großartig aus, fühlte sich großartig und war bis über beide Ohren verliebt. Aber er vermißte das Bier.
Einige Kilometer außerhalb von Chester sah Jake auf der Rückfahrt einen Lebensmittelladen mit einem Coors-Schild im Fenster. Als Student hatte er am liebsten Coors getrunken, obwohl es damals östlich des Flusses nicht verkauft wurde. In Ole Miss herrschte eine große Nachfrage, und der Schmuggel von Coors war sehr rentabel. Jetzt bot man es überall an, und die meisten Leute kehrten zum Budweiser zurück.
Ein heißer Freitagnachmittag. Und die Entfernung zu Carla betrug fast tausendfünfhundert Kilometer. Jake wollte nicht ins Büro; was es dort an Arbeit zu erledigen gab, konnte bis morgen warten. Ein Irrer hatte versucht, das Haus in die Luft zu jagen und seine Familie umzubringen. In zehn Tagen begann der wichtigste Prozeß seines Lebens. Er glaubte sich nicht genügend vorbereitet, und der Druck nahm zu. Der Richter hatte gerade den Antrag auf Verlegung des Verhandlungsortes zurückgewiesen. Und er war durstig. Jake parkte vor dem Laden und kaufte einen Sechserpack Coors.
Er brauchte fast zwei Stunden für die hundert Kilometer von Chester nach Clanton, genoß die Ablenkung, die Landschaft und das Bier. Zweimal hielt er an, um seine Blase zu leeren, dann noch einmal, um einen weiteren Sechserpack zu kaufen. Er fühlte sich prächtig.
In seinem derzeitigen Zustand gab es nur ein Ziel für ihn. Nicht das Haus. Nicht die Praxis. Erst recht nicht das Gericht, um Ichabods niederträchtige richterliche Anweisung zu Protokoll zu geben. Er ließ den Saab hinter dem verbeulten Porsche stehen und ging mit einer kalten Bierdose in der Hand über die Zufahrt. Lucien saß wie üblich auf der Veranda, trank und las eine Abhandlung über Verteidigungsstrategien bei Fällen von Unzurechnungsfähigkeit. Er schloß das Buch, bemerkte die Bierdose und lächelte. Jake schmunzelte ebenfalls.
»Feiern Sie etwas?« fragte Wilbanks.
»Nein, eigentlich nicht. Ich habe nur Durst.«
»Ich verstehe. Und Ihre Frau?«
»Ich nehme keine Anweisungen von ihr entgegen und entscheide für mich selbst. Ich bin der Boß. Wenn ich Bier trinken möchte, trinke ich Bier, und sie sagt nichts dazu.« Jake hob die Dose zum Mund.
»Ich nehme an, Carla hat die Stadt verlassen.«
»Sie ist in North Carolina.«
»Wann brach sie auf?«
»Heute morgen um sechs. Flog von Memphis nach Wilmington, mit Hanna. Bleibt dort bis zum Ende des Prozesses. Ihre Eltern haben ein hübsches kleines Strandhaus, in dem sie den Sommer verbringen.«
»Ihre Frau verließ Clanton heute morgen, und jetzt am Nachmittag sind Sie betrunken?«
»Ich bin nicht betrunken«, erwiderte Jake. »Noch nicht.«
»Seit wann trinken Sie?«
»Seit zwei Stunden. Habe mir einen Sechserpack gekauft, als ich mich um halb zwei in Chester von Noose verabschiedete. Seit wann trinken Sie?«
»Seit dem Frühstück. Sie waren bei Noose?«
»Er lud mich zum Mittagessen ein, um den Fall mit mir zu besprechen. Er lehnt es ab, den Verhandlungsort zu verlegen.«
»Was?«
»Sie haben mich richtig verstanden. Der Prozeß findet in Clanton statt.«
Lucien leerte sein Glas und ließ die Eiswürfel klirren. »Sallie!« rief er. Und dann: »Hat er einen Grund genannt?«
»Ja. Er meinte, es sei in ganz Mississippi unmöglich, unvoreingenommene Geschworene zu finden.«
»Das finde ich auch. Es ist ein vernünftiger Grund, um den Verhandlungsort nicht zu verlegen, aber in juristischer Hinsicht steht diese
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