Die Jury
Entscheidung auf sehr wackligen Beinen. Noose hat einen Fehler gemacht.«
Sallie kam mit einem Drink und trug den Rest von Jakes Sechserpack zum Kühlschrank. Lucien trank einen Schluck und schmatzte genießerisch. Mit dem Handrücken wischte er sich den Mund ab und setzte das Glas noch einmal an die Lippen.
»Sie wissen, was das bedeutet, nicht wahr?« fragte er.
»Ja. Eine weiße Jury.«
»Und beim Berufungsverfahren eine Aufhebung des Urteils falls Hailey für schuldig befunden wird.«
»Verlassen Sie sich nicht darauf. Noose hat schon beim obersten Gericht nachgefragt. Er glaubt, dort wird man seine Entscheidung bestätigen, und er ist sicher, daß man sie nicht anfechten kann.«
»Er ist ein Idiot. Ich kann ihm mindestens zwanzig Präzedenzfälle zeigen, die es nahelegen, den Prozeß woanders stattfinden zu lassen. Ich glaube, er hat Ihren Antrag zurückgewiesen, weil er sich fürchtet.«
»Warum sollte sich Noose fürchten?«
»Er wird unter Druck gesetzt.«
»Von wem?«
Lucien betrachtete die goldgelbe Flüssigkeit in seinem großen Glas und stieß mit dem Zeigefinger an die Eiswürfel. Er lächelte und erweckte den Eindruck, etwas zu wissen. Aber offenbar wollte er nicht sofort damit heraus.
»Von wem?« wiederholte Jake und starrte seinen früheren Chef aus geröteten Augen an.
»Von Buckley«, sagte Lucien selbstgefällig.
»Buckley«, murmelte Jake. »Ich verstehe nicht...«
»Was mich kaum überrascht.«
»Könnten Sie es mir erklären?«
»Dazu wäre ich durchaus imstande. Aber Sie dürfen mit niemandem darüber reden. Es ist streng vertraulich. Die Informationen kommen aus einer guten Quelle.«
»Wen meinen Sie?«
»Tut mir leid.«
»Wo sind Ihre Quellen?« beharrte Jake.
»Das verrate ich Ihnen nicht. Finden Sie sich damit ab – in Ordnung?«
»Wie sollte es Buckley möglich sein, Noose unter Druck zu setzen?«
»Wenn Sie zuhören, sage ich's Ihnen.«
»Buckley kann überhaupt keinen Einfluß auf Noose ausüben. Der Richter verabscheut ihn. Darauf hat er mich heute mittag selbst hingewiesen.«
»Ich weiß.«
»Wieso behaupten Sie dann, daß Noose von Buckley unter Druck gesetzt wird?«
»Wenn Sie endlich still sind, erkläre ich Ihnen alles.«
Jake trank sein Bier aus und rief nach Sallie.
»Sie wissen ja, daß Buckley ein skrupelloser Strolch ist und eine politische Karriere anstrebt.«
Brigance nickte.
»Sie wissen auch, daß er diesen Prozeß unbedingt gewinnen will. Er hofft, daß ihm ein Sieg die Tür zum Büro des Generalstaatsanwalts öffnet.«
»Er will Gouverneur werden«, sagte Jake.
»Was auch immer. Der Kerl ist verdammt ehrgeizig.«
»Ja.«
»Nun, er hat seine politischen Kumpel im Bezirk gebeten, Noose anzurufen und ihn aufzufordern, das Verfahren in Ford County stattfinden zu lassen. Einige haben dem Richter gegenüber kein Blatt vor den Mund genommen und ihm erklärt: Wenn Sie den Verhandlungsort verlegen, bezahlen Sie bei der nächsten Wahl dafür; wenn Sie den Fall in Clanton lassen, sorgen wir dafür, daß Sie wiedergewählt werden.«
»Das kann ich kaum glauben.«
»Aber es ist wahr.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich habe meine Quellen.«
»Wer hat Noose angerufen?«
»Nur ein Beispiel: Kennen Sie den Burschen, der früher Sheriff in Van Buren County war? Motley? Das FBI erwischte ihn, aber inzwischen hat man ihn aus der Haft entlassen. In seiner County ist er noch immer sehr beliebt.«
»Ja, ich erinnere mich.«
»Ich weiß, daß er Noose in Begleitung einiger Freunde besuchte und dem Richter mit erheblichem Nachdruck vorschlug, den Prozeß in Clanton stattfinden zu lassen. Buckley schickte sie zu ihm.«
»Wie hat Noose darauf reagiert?«
»Sie beschimpften sich gegenseitig. Motley meinte, Noose bekäme bei der nächsten Wahl nicht mehr als fünfzig Stimmen in Van Buren County. Er und seine Freunde drohten damit, Wahlurnen zu manipulieren, Schwarze einzuschüchtern, die Briefe von Briefwählern abzufangen und so weiter. Die üblichen Methoden in Van Buren County. Und Noose weiß, daß es ernst gemeint ist.«
»Warum sollte er deshalb besorgt sein?«
»Was für eine dumme Frage, Jake. Er ist alt und kann nur noch als Richter arbeiten. Versuchen Sie einmal, sich ihn als Anwalt vorzustellen. Er verdient jetzt sechzigtausend im Jahr und würde verhungern, wenn er seinen Posten verliert. Den meisten Richtern geht es so. Er muß seinen Job behalten. Das ist Buckley sehr wohl klar, und deshalb spricht er mit den hiesigen Frömmlern: ›He,
Weitere Kostenlose Bücher