Die Jury
bezahlte sie gern und ermutigte Jake, das Zeug in sich hineinzuschütten. Nur wenige Dosen blieben übrig. Es war alles Luciens Schuld.
Langsam hob er die Beine, eins nach dem anderen, und setzte die Füße auf den Boden. Behutsam massierte er sich die Schläfen, doch das Hämmern ließ nicht nach. Er atmete tief durch, aber das Herz klopfte noch immer viel zu schnell, pumpte mehr Blut ins Gehirn und stimulierte dadurch ein Pochen, das ihm den Schädel zu zerreißen drohte. Er brauchte Wasser. Die Zunge war völlig trocken und so angeschwollen, daß ihr der Mund kaum Platz genug bot. Warum? dachte Jake. Warum?
Wie in Zeitlupe stand er auf, schnitt eine Grimasse und wankte in die Küche. Das Licht über dem Herd war abgeschirmt und matt, aber ihm schien es gleißend und blendend hell zu sein. Jake rieb sich die Augen und versuchte, sie mit den Fingern zu reinigen. Gierig trank er Wasser und scherte sich nicht darum, daß ihm ein Teil davon übers Kinn lief und zu Boden tropfte – Sallie würde es später aufwischen. Die Uhr auf der Arbeitsplatte behauptete, es sei halb drei.
Es fiel Jake etwas leichter, das Gleichgewicht zu wahren, als er leise durchs Wohnzimmer taumelte, vorbei an der Couch ohne Kissen, und dann durch die Tür. Leere Dosen und Flaschen lagen auf der Veranda. Warum?
Eine Stunde lang saß er dann reglos in der Dusche seiner Praxis und ließ heißes Wasser auf sich herabströmen. Es verbannte einen Teil der Schmerzen, doch die Preßlufthämmer in seinem Kopf quälten ihn auch weiterhin. Einmal war es ihm als Student gelungen, vom Bett zum Kühlschrank zu kriechen und ihm ein Bier zu entnehmen. Er hatte es getrunken und das braune Zeug half. Er trank ein zweites, und daraufhin fühlte er sich besser. Er erinnerte sich nun daran, als er unter der Dusche hockte, würgte jedoch bei dem Gedanken an ein Bier.
In der Unterwäsche lag er auf dem Konferenztisch und gab sich alle Mühe, so schnell wie möglich zu sterben. Er hatte eine gute Lebensversicherung. Das Geld würde genügen, um die Hypotheken für das Haus zu bezahlen. Und Carl Lees neuer Anwalt konnte um einen Aufschub bitten.
Noch neun Tage bis zum Prozeß. Die Zeit war knapp und kostbar, und er hatte gerade einen Tag mit einem enormen Kater verschwendet. Plötzlich fiel ihm Carla ein, und die Kopfschmerzen nahmen abrupt zu. Er hatte versucht, nüchtern zu klingen, als er ihr mitteilte: »Ich bin hier bei Lucien, und wir haben uns den ganzen Nachmittag über mit Präzedenzfällen in bezug auf Unzurechnungsfähigkeit befaßt; ich wollte dich schon früher anrufen, aber Luciens Telefon ist defekt.« Leider konnte er ein leichtes Lallen nicht verhindern, und Carla wußte sofort, daß er betrunken war. Sie reagierte mit kontrolliertem Zorn. Ja, das Haus stand noch. Mehr glaubte sie ihm nicht.
Um halb sieben rief Jake sie noch einmal an. Vielleicht beeindruckte es sie, daß er sich schon jetzt im Büro aufhielt und fleißig arbeitete. Sie blieb kühl. Er nahm seine ganze Willenskraft zusammen und trachtete danach, Fröhlichkeit zu vermitteln. Carlas Stimme kündete von Skepsis.
»Wie fühlst du dich?« fragte sie noch einmal.
»Großartig!« antwortete Jake mit geschlossenen Augen. »Wann bist du zu Bett gegangen?«
Welches Bett meinst du? »Kurz nach unserem Telefongespräch.«
Carla schwieg.
»Ich bin seit drei Uhr im Büro«, sagte Jake stolz.
»Seit drei Uhr!«
»Ja. Ich fand keine Ruhe.«
»Aber Donnerstag nacht hast du kaum geschlafen.« Sorge schmolz einen Teil des Eises, und Jake fühlte sich ein wenig besser.
»Es ist alles in Ordnung mit mir. Vielleicht übernachte ich in dieser und der nächsten Woche bei Lucien. Dort bin ich bestimmt sicherer.«
»Was ist mit dem Leibwächter?«
»Deputy Nesbit? Er schläft draußen in seinem Wagen.« Carla zögerte, und Jake spürte, wie sie langsam auftaute. »Ich mache mir Sorgen um dich«, sagte sie sanft.
»Du kannst ganz beruhigt sein. Ich rufe dich morgen an. Jetzt habe ich zu tun.«
Er legte auf, hastete zur Toilette und übergab sich.
Jemand klopfte immer wieder an die Tür. Fünfzehn Minuten lang achtete Jake nicht darauf, aber wer auch immer draußen stand – der Besucher schien ziemlich hartnäckig zu sein.
Er ging zum Balkon. »Wer ist dort?« rief er und sah zur Straße hinunter.
Eine Frau verließ den Bürgersteig und lehnte sich an einen schwarzen BMW, der hinter dem Saab parkte. Sie schob die Hände tief in die Taschen einer knapp sitzenden, ausgebleichten Jeans. Der
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