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Die Jury

Titel: Die Jury Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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dramatisch-überschwengliche Gebaren vor allem deshalb, weil die Jury zuhörte und manchmal auch darauf hereinfiel. Der Staatsanwalt als tapferer Kämpfer für Gerechtigkeit: Er wollte einen Kriminellen für sein abscheuliches Verbrechen bestrafen, ihn für immer hinter Schloß und Riegel bringen, so daß er sich nie wieder an der Gesellschaft versündigen konnte. Buckley verstand es sehr gut, die Jury sofort davon zu überzeugen, daß Er und die Zwölf Auserwählten ein Team bildeten, vereint gegen das Böse. Gemeinsam suchten sie nach der Wahrheit, und nur darauf kam es an: auf die Wahrheit. Sie ermöglichte es, Gerechtigkeit durchzusetzen. Wenn die Geschworenen ihm folgten, Rufus Buckley, dem Anwalt des Volkes, so würde es ihnen gelingen, die Wahrheit zu finden.
    Er bezeichnete die Vergewaltigung als schreckliches Verbrechen. »Ich bin selbst Vater und habe eine Tochter im Alter von Tonya Hailey«, meinte er. »Als ich zum erstenmal hörte, was sie erleiden mußte, war ich zutiefst erschüttert...« Buckley nahm Anteil an den Gefühlen Carl Lees und seiner Frau. Ja, er dachte dabei an seine Tochter und spürte ebenfalls den Wunsch nach Vergeltung.
    Jake sah Ellen an und lächelte. Interessant: Rufus hatte beschlossen, die Vergewaltigung anzusprechen, anstatt sie zu verschweigen. Brigance rechnete mit einer heftigen Auseinandersetzung über die Zulässigkeit von Aussagen in Hinsicht auf Tonya Haileys Erlebnisse. Die Resultate von Ellens Nachforschungen deuteten darauf hin, daß die Geschworenen nicht mit den abscheulichen Einzelheiten konfrontiert werden durften, aber vielleicht war es möglich, jenes Verbrechen zumindest zu erwähnen, beziehungsweise Bezug darauf zu nehmen. Buckley hielt es offenbar für besser, die Vergewaltigung zur Sprache zu bringen anstatt den Anschein zu erwecken, sie sei überhaupt nicht geschehen. Ein geschickter Schachzug: Die Jury und alle anderen wußten ohnehin darüber Bescheid.
    Ellen schmunzelte ebenfalls. Der Fall Tonya Hailey wurde jetzt zum erstenmal vor Gericht verhandelt. Buckley erklärte, er verstehe durchaus, warum ein Vater nach Rache strebte. Ihm erginge es nicht anders, betonte er. Doch etwas lauter fügte er hinzu, es sei ein großer Unterschied, Vergeltung nur zu wünschen oder sich diesen Wunsch zu erfüllen.
    Allmählich kam er in Fahrt, als er energisch umherschritt, das Rednerpult ignorierte und zu einem neuen rhetorischen Rhythmus fand. Zwanzig Minuten lang ließ er sich über das Strafrecht in Mississippi aus und wies darauf hin, wie viele Vergewaltiger er, Rufus Buckley, nach Parchman geschickt hatte, die meisten von ihnen für den Rest ihres Lebens. Die Justiz funktionierte, weil die Bürger von Mississippi vernünftig genug waren, ihr zu vertrauen. Doch wenn man Leuten wie Carl Lee Hailey gestattete, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen, so streute man damit Sand ins Getriebe der Gerechtigkeit. Das Resultat mußte eine Gesellschaft sein, in der Rächer nach Belieben schalteten und walteten. Keine Polizei, keine Gefängnisse, keine Gerichte, keine Prozesse, keine Geschworenen, die über Schuld oder Unschuld befanden. Jeder für sich allein.
    Es sei eine Ironie des Schicksals, fuhr Buckley etwas ruhiger fort, daß Carl Lee Hailey nun auf der Anklagebank säße und einen fairen Prozeß verlangte, obgleich er nicht an so etwas glaubte. »Fragen Sie die Mütter von Billy Ray Cobb und Pete Willard«, sagte Buckley zur Jury. »Fragen Sie sie, ob ihre Söhne einen fairen Prozeß bekamen.«
    Rufus legte eine kurze Pause ein, um allen Anwesenden im Saal Gelegenheit zu geben, über seine letzten Worte nachzudenken. Ihr Bedeutungsinhalt übte maßgeblichen Einfluß auf das Denken und Empfinden der Geschworenen aus, und sie sahen Carl Lee Hailey an; kein Mitgefühl zeigte sich in ihren Blicken. Mit einem kleinen Taschenmesser reinigte sich Jake die Fingernägel und wirkte vollkommen gelangweilt. Buckley gab vor, die auf dem Rednerpult liegenden Notizen zu lesen. Anschließend begann er noch einmal, diesmal in einem zuversichtlich-neutralen Tonfall. Die Staatsanwaltschaft würde beweisen, daß Carl Lee Hailey den Doppelmord sorgfältig vorbereitet hatte. Fast eine Stunde lang habe der Angeklagte in einer Abstellkammer neben der Treppe gewartet, über die man Cobb und Willard zum Gerichtssaal oder nach draußen führte. Er habe es irgendwie geschafft, eine M-16 ins Gebäude zu schmuggeln. »Hier ist die Tatwaffe«, sagte Rufus. Er hob sie mit einer Hand hoch, legte sie

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