Die Jury
hinter Bass schloß, ließ Jake seinen Blick durch den Saal schweifen, in der Hoffnung, hier oder dort ein ermutigendes Lächeln zu sehen. Er hielt vergeblich danach Ausschau. Lucien strich sich über den Bart und sah zu Boden.
Lester saß mit verschränkten Armen da und schnitt eine grimmige Miene. Gwen schluchzte leise.
»Rufen Sie Ihren nächsten Zeugen auf«, sagte Noose. Jake setzte die stumme Suche fort. In der dritten Reihe, hinter Bischof Ollie Agee und Reverend Luther Roosevelt, saß Norman Reinfeld. Als sich ihre Blicke begegneten, runzelte er die Stirn und schüttelte den Kopf, wie um dem Anwalt mitzuteilen: »Ich habe es Ihnen ja gesagt.« Auf der anderen Seite des Gerichtssaals entspannten sich die meisten Weißen, und einige von ihnen grinsten.
»Mr. Brigance, bitte rufen Sie Ihren nächsten Zeugen auf.« Jake versuchte aufzustehen, obgleich die Knie unter ihm nachzugeben drohten. Er stützte sich ab und legte die Hände flach auf den Tisch. »Euer Ehren«, begann er mit der vibrierenden, heiseren Stimme des Besiegten, »können wir die Verhandlung bis um ein Uhr unterbrechen?«
»Es ist erst halb zwölf, Mr. Brigance.«
Jake hielt eine Lüge für angebracht. »Ja, Euer Ehren, aber unser nächster Zeuge ist nicht hier, und wir erwarten ihn erst gegen eins.«
»Na schön. Das Gericht vertagt sich bis um ein Uhr. Die Anwälte begleiten mich bitte in mein Büro.«
Neben dem richterlichen Büro gab es einen Kaffeeraum, in dem sich die Anwälte trafen und miteinander plauderten, und daran schloß sich eine Toilette an. Dort verriegelte Jake die Tür, streifte seine Jacke ab, legte sie auf den Boden, kniete sich hin und würgte.
Ozzie stand vor dem Richter und übte sich in Smalltalk, während Musgrove und Buckley zufrieden lächelten. Sie warteten auf Jake. Schließlich kam er herein und entschuldigte sich.
»Ich habe schlechte Nachrichten für Sie, Jake«, sagte Ozzie. »Zuerst möchte ich mich setzen.«
»Vor einer Stunde rief mich der Sheriff von Lafayette County an. Ihre Assistentin Ellen Roark liegt im Krankenhaus.« »Was?«
»Der Klan hat sie gestern abend erwischt. In der Nähe von Oxford. Die Kluxer fesselten sie an einen Baum und schlugen sie.«
»Wie geht es ihr?« fragte Jake.
»Nicht sehr gut. Aber inzwischen hat sich ihr Zustand stabilisiert.«
Buckleys Stimme erklang. »Was ist geschehen?«
»Wir wissen es nicht genau. Irgendwie hielten die Klanmitglieder den Wagen der jungen Frau an, brachten sie in den Wald, rissen ihr dort die Kleidung vom Leib und schnitten ihr das Haar ab. Sie hat eine Gehirnerschütterung und Platzwunden am Kopf, woraus wir schließen, daß sie geschlagen wurde.«
Jake spürte neuerliche Übelkeit und brachte keinen Ton hervor. Er massierte sich die Schläfen und dachte daran, wie gern er Bass an einen Baum gefesselt und ihn verprügelt hätte. Noose musterte den Strafverteidiger voller Mitgefühl. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Mr. Brigance?«
Keine Antwort. »Wir sollten die Pause bis um zwei Uhr verlängern«, sagte der Richter. »Ich glaube, wir brauchen alle Gelegenheit, uns etwas auszuruhen.«
Jake stieg langsam die vordere Treppe hoch, hielt eine leere Coors-Flasche in der Hand und spielte einige Sekunden lang mit dem Gedanken, sie an Luciens Kopf zu zerschmettern. Aber wahrscheinlich hätte der überhaupt keinen Schmerz empfunden.
Wilbanks ließ die Eiswürfel in seinem Glas klirren und starrte zum Platz. Dort trieben sich jetzt nur noch Soldaten und Teenager herum, die darauf warteten, daß sich die Pforten des Kinos für die beiden Samstagabend-Filme öffneten.
Stille herrschte. Nach einer Weile senkte Lucien den Kopf. Jake stand neben ihm, die Hand noch immer um den Hals der leeren Flasche geschlossen. Bass war Hunderte von Kilometern entfernt.
»Wo ist W. T. Bass?« fragte Jake schließlich.
»Weggefahren.«
»Wohin?«
»Nach Hause.«
»Wo wohnt er?«
»Wollen Sie das wirklich wissen?«
»Ich möchte sein Haus aufsuchen. Ich möchte ihm dort gegenübertreten – um ihm mit einem Baseballschläger den Schädel zu zertrümmern.«
Lucien drehte sein Glas hin und her. »Ich kann es Ihnen nicht verdenken.«
»Wußten Sie davon?«
»Wovon?«
»Wußten Sie über seine Verurteilung Bescheid?«
»Himmel, nein. Niemand hatte eine Ahnung. Sie wurde gestrichen.«
»Ich verstehe nicht.«
»Auf meine Frage hin antwortete mir Bass vorher, daß man die Verurteilung drei Jahre nach dem Prozeß in Texas aus seinem Vorstrafenregister
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