Die Jury
Geld von ihnen zu leihen. Um zu überleben. Um nicht zu verhungern.
Wenn Sie eine knappe Antwort auf Ihre Frage möchten: Die Familie ist vollkommen zerstört.«
Gwen weinte leise, und Jake reichte ihr ein Taschentuch.
»Nehmen Sie Unzurechnungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt an?«
»Ja.«
»Wollen Sie Ihren Mandanten auf dieser Basis verteidigen?«
»Ja.«
»Können Sie beweisen, daß Mr. Hailey im Affekt handelte?«
»Die Geschworenen werden darüber befinden. Wir beabsichtigen, psychiatrische Experten aussagen zu lassen.«
»Haben Sie bereits mit Psychiatern gesprochen?«
»Ja«, log Jake.
»Bitte nennen Sie uns ihre Namen.«
»Nein. Das wäre zum gegenwärtigen Zeitpunkt unangemessen.«
»Angeblich kam es zu anonymen Anrufen, die Mr. Hailey mit dem Tod drohten. Bestätigen Sie diese Gerüchte?«
»Die Anrufe richteten sich nicht nur gegen Mr. Hailey, sondern auch gegen seine Familie, gegen meine, den Sheriff, Richter Noose und alle anderen, die mit dem Fall zu tun haben. Ich weiß nicht, wie ernst die Drohungen gemeint sind.«
Carl Lee klopfte Tonya aufs Bein und starrte ins Leere. Er wirkte sehr besorgt und hilflos, weckte Mitleid. Seine Söhne schienen verängstigt zu sein, rührten sich jedoch nicht von der Stelle – so lauteten ihre Anweisungen. Carl Lee junior, mit fünfzehn der älteste von ihnen, stand hinter Jake, der dreizehnjährige Jarvis hinter seinem Daddy. Der elfjährige Robert lehnte sich an Gwen. Sie trugen Matrosenanzüge mit weißen Hemden und roten Fliegen. Roberts Anzug hatte einst Carl Lee junior und dann Jarvis gehört; man sah es ihm an. Aber er war sauber und frisch gebügelt. Die Jungen machten einen sehr guten Eindruck. Wie konnte irgendein Geschworener dafür stimmen, daß diese Kinder ohne ihren Vater aufwuchsen?
Die Pressekonferenz erwies sich als großer Erfolg. Nationale und auch lokale Sender berichteten darüber in allen Nachrichtensendungen am Abend. Auf den Titelseiten der Donnerstagszeitungen erschienen Bilder von den Haileys und ihrem Anwalt.
16
L ester hielt sich nun schon seit zwei Wochen in Mississippi auf, und die Schwedin aus Wisconsin rief mehrmals an. Sie traute ihrem Mann nicht und dachte an alte Freundinnen, von denen er ihr erzählt hatte. Lester war nie im Haus. Gwen entschuldigte ihn jedesmal und meinte, er sei zum Angeln oder schnitte Holz für die Papierfabrik, um Geld für Lebensmittel zu verdienen. Eigentlich wollte Gwen nicht mehr lügen, und auch Lester hatte das Herumsitzen in Kneipen satt. Sie gingen sich gegenseitig auf die Nerven. Als am Freitagmorgen erneut das Telefon klingelte, noch vor Sonnenaufgang, nahm Lester ab. Die Schwedin meldete sich.
Zwei Stunden später parkte der rote Cadillac vor dem Gefängnis. Moss Junior führte Lester in Carl Lees Zelle, und die beiden Brüder sprachen leise miteinander, um die anderen Häftlinge nicht zu wecken.
»Ich muß heim«, murmelte Lester. Es klang beschämt und verlegen.
»Warum?« Carl Lee hatte damit gerechnet.
»Meine Frau hat angerufen. Wenn ich morgen nicht zur Arbeit erscheine, verliere ich den Job.«
Carl Lee nickte.
»Tut mir sehr leid. Ich lasse dich hier nicht gern allein, aber mir bleibt keine Wahl.«
»Ich verstehe. Wann kehrst du zurück?«
»Wann möchtest du, daß ich zurückkehre?«
»Wenn der Prozeß beginnt. Für Gwen und die Kinder ist es so schon ziemlich schwer. Kannst du im Juli wieder hierherkommen?«
»Verlaß dich drauf. Ich nehme mir Urlaub oder so. Irgendwie finde ich eine Möglichkeit, um hier zu sein, wenn man dich vor Gericht stellt.«
Sie saßen auf der Kante von Carl Lees Bett und sahen sich stumm an. Die Zelle war dunkel und still. Niemand schlief auf den beiden anderen Liegen an der gegenüberliegenden Wand.
»Himmel, ich habe ganz vergessen, wie schlimm es im Knast ist«, sagte Lester.
»Ich hoffe nur, daß ich hier nicht zuviel Zeit verbringen muß.«
Sie standen auf und umarmten sich. Schließlich rief Lester nach Moss Junior und bat ihn, die Tür zu öffnen. »Ich bin stolz auf dich«, verabschiedete er sich von seinem älteren Bruder. Dann ging er nach draußen, setzte sich ans Steuer und fuhr los.
Carl Lees zweiter Besucher an jenem Morgen war sein Anwalt, und sie trafen sich in Ozzies Büro. Jakes Augen waren gerötet, und mit seiner Stimmung stand es nicht zum besten.
»Gestern habe ich mit zwei Psychiatern aus Memphis gesprochen«, sagte er. »Wissen Sie, was die beiden Ärzte mindestens verlangen, um Sie für den Prozeß zu
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