Die Kälte Des Feuers
einschränkende vielleicht gab es einen guten Grund: sie wußten noch immer nicht, ob ihnen der Freund die Wahrheit sagte.
Um Viertel nach drei waren sie zu müde, um zu stehen, hatten aber auch bereits so lange gesessen, daß ihre Allerwertesten mit dumpfem Schmerz protestierten. Holly und Jim krochen in die Schlafsäcke, streckten sich nebeneinander aus und starrten an die gewölbte Decke.
Um nicht einzuschlafen, stellten sie die Gaslampe auf höchste Leuchtstärke. Sie sprachen leise miteinander, während sie auf die Rückkehr des Freundes warteten. Bei ihren Unterhaltungen ging es nicht um wichtige Dinge; sie brauchten nur etwas, um gedanklich beschäftigt zu bleiben. Es war schwierig, mitten in einem Gespräch einzuschlafen, und wenn das doch geschah … Der andere würde es merken, weil eine Antwort ausblieb. Sie hielten sich an den Händen - Hollys rechte Hand ruhte in Jims linker. Falls jemand während einer kurzen Pause der Konversation dem Schlaf anheimfiel, so spürte es der Partner durch eine Lockerung des Griffs.
Holly rechnete nicht damit, daß es ihr übermäßig schwer fiele, auch weiterhin wach zu bleiben. In ihrer Collegezeit hatte sie die ganze Nacht über in Fachbüchern gelesen, wenn ihr am nächsten Tag eine wichtige Prüfung bevorstand; manchmal war sie ohne große Mühe sechsunddreißig Stunden lang auf den Beinen gewesen. Während der ersten Jahre als Reporterin, als sie noch geglaubt hatte, daß der Journalismus eine wichtige Rolle für sie spiele, arbeitete sie auch mitten in der Nacht an einer Story, grübelte über den Ergebnis sen ihrer Recherchen, lauschte noch einmal aufgezeichneten Interviews oder feilte an Formulierungen.
Auch später schlug sie sich dann und wann eine Nacht um die Ohren, manchmal nur deshalb, weil sie gelegentlich an Schlaflosigkeit litt. Sie war von Natur aus eine Nachteule. Hier in der Windmühle darauf zu verzichten, die Augen zu schließen und zu schlafen - ein Klacks.
Erst vor knapp vierundzwanzig Stunden war sie in Laguna Niguel aus einem Alptraum erwacht - aber trotzdem spürte sie nun, wie sich ihr der Sandmann näherte. Sie hatte außerordentlich aktive Tage hinter sich, und hinzu kamen erhebliche persönliche Veränderungen, die ebenfalls an den Kräften zehrten. Und dann die Träume, die ihr des Nachts keine Ruhe schenkten.
Träume sind Tore.
Das Schlafen war gefährlich. Sie mußte unbedingt wach bleiben. Verdammt, sie sollte nicht so schrecklich müde sein, trotz der jüngsten Ereignisse und den mit ihnen einhergehenden Anspannungen. Holly versuchte, das Gespräch mit Jim fortzusetzen, obgleich sie immer wieder den Faden verlor und Mühe hatte, ihre eigenen Worte zu verstehen. Träume sind Tore. Sie fühlte sich wie von Drogen betäubt. Oder verdankte sie ihre Benommenheit dem Freund? Betätigte er nach der Warnung vor dem Schlaf einen narkoleptischen Schalter in ihrem Gehirn? Träume sind Tore. Sie kämpfte gegen die heranflutende Schwärze an, schaffte es jedoch nicht, sich aufzusetzen oder die Augen zu öffnen. Ihre Lider waren geschlossen; das merkte sie erst jetzt. Träume sind Tore. Es regte sich keine Panik in ihr. Der Zauber des Sandmanns sorgte dafür, daß ihre Gedanken weiter zerfaserten, und gleichzeitig spürte sie, wie das Herz heftiger schlug. Ihre Finger lösten sich von Jims Hand. Bestimmt reagierte er gleich darauf und weckte sie, hinderte sie daran, tiefer in das warme Dunkel zu sinken, das sie mit wohltuendem Vergessen empfing. Aber sein Griff lockerte sich ebenfalls; auch er gab dem Bann des Sandmanns nach.
Holly trieb in Finsternis.
Sie glaubte sich beobachtet.
Ein Gefühl, das sowohl beruhigte als auch erschreckte.
Irgend etwas bahnte sich an. Holly war sich dessen ganz sicher.
Doch eine Zeitlang geschah nichts. Die Dunkelheit blieb form- und gestaltlos.
Dann begriff Holly, daß eine Mission auf sie wartete.
Nein, das konnte nicht stimmen. Der Freund beauftragte Jim, sonst niemanden.
Eine Mission. Ihre Mission. Eine eigene Mission stand ihr bevor. Und sie war sehr wichtig. Ihr Leben hing davon ab, ob sie der Aufgabe gerecht wurde. Auch Jims Leben. Die Existenz der ganzen Welt stand auf dem Spiel.
Doch die Dunkelheit zeigte keine Veränderungen.
Holly trieb. Es fühlte sich gut an.
Sie schlief und schlief.
Irgendwann in der Nacht begann sie zu träumen. Es handelte sich um einen besonders eindrucksvollen Traum - alle Bremsen des Schreckens waren gelöst -, aber er stand in keinem ersichtlichen Zusammenhang mit
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