Die Kälte Des Feuers
von der Wand fort, um nach dem Trageriemen ihrer Handtasche zu greifen.
Je mehr sie sich der Treppe näherte, desto sicherer wurde sie, daß die Tür jeden Augenblick zufallen konnte, mit einem donnernden Krachen, das Jim weckte. Sie dachte daran, wie er sich aufsetzte und sie aus seinen blauen Augen ansah, aus Pupillen, die jede Wärme verloren hatten und frostig waren. Schon zweimal hatte sie seinen eisigen Blick gespürt. Augen, in denen kaltes Feuer brannte.
Sie erreichte die Tür und trat rückwärts auf die oberste Stufe, beobachtete weiterhin den schlafenden Jim. Wenn sie auf diese Weise die Treppe hinunterging, ohne ein Geländer … Irgendwann würde sie stolpern, fallen, sich ein Bein oder einen Arm brechen. Holly wandte sich von der hohen Kammer ab und eilte nach unten, achtete aber darauf, möglichst leise zu sein.
Das trübe Grau des Morgens kroch über die Fenster, aber im Erdgeschoß herrschte trügerische Dunkelheit. Holly führte keine Taschenlampe bei sich, und das Adrenalin in ihren Adern änderte nichts an der Finsternis. Vergeblich versuchte sie, sich daran zu erinnern, ob irgendwelche Dinge an der Wand standen. Wenn sie gegen etwas stieß und Geräusche verursachte, die Jim weckten … Behutsam setzte sie den Weg fort, spürte dabei, wie ihr Rücken über die gewölbte Mauer strich. Der Zugang zur Vorkammer befand sich irgendwo auf der rechten Seite. Als sie nach links blickte, fiel es ihr schwer, die nach oben führende Treppe zu erkennen.
Sie tastete mit der rechten Hand über den Kalkstein, fühlte die Ecke und erreichte den kleinen, nischenartigen Raum. In der vergangenen Nacht war es hier völlig dunkel gewesen, aber jetzt drang das blasse Licht des Morgens durch die offene Tür.
Bedeckter Himmel. Ein angenehm kühler Augusttag.
Grau und unbewegt erstreckte sich der Teich neben der Mühle.
Insekten summten leise, es klang wie das statische Rauschen eines Radios, dessen Lautstärke man fast ganz heruntergedreht hatte.
Holly lief zum Ford und riß die Tür auf.
Ein Anflug von Panik erfaßte sie, als ihr die Autoschlüssel einfielen. Dann fühlte sie den Schlüsselbund in der Tasche ihrer Jeans; dort befanden sie sich, seit sie gestern das Bad im Farmhaus benutzt hatte. Ein Schlüssel für das Gebäude neben dem Schuppen, ein anderer für das Haus in Laguna Niguel, zwei für den Wagen - alle an einer schlichten Messingkette.
Holly legte Handtasche und Schreibblock auf den Rücksitz, nahm am Steuer Platz und ließ die Fahrertür offen - vielleicht hörte Jim das Klacken. Sie war noch nicht in Sicherheit. Er konnte jeden Augenblick aus der Mühle stürmen, als willenloses Werkzeug des Feindes über den Kiespfad laufen und sie angreifen.
Ihre Hände zitterten, als sie den Schlüssel ins Zündschloß steckte. Sie zögerte kurz, drehte ihn, gab Gas und schluchzte fast vor Erleichterung, als der Motor aufheulte.
Mit einem jähen Ruck schloß sie die Tür, legte den Rückwärtsgang ein und steuerte den Ford am Teich vorbei. Die durchdrehenden Räder schleuderten Kies empor: kleine Steine schlugen mit lautem Hämmern ans Bodenblech.
Als Holly den breiten Bereich zwischen Farmhaus und Schuppen erreichte, wendete sie nicht etwa, sondern trat auf die Bremse. Sie starrte zur Windmühle, die sich nun auf der anderen Seite des Teichs befand.
Es gab kein Ziel für sie, das Geborgenheit versprach. Wohin sie auch floh - Jim würde sie finden. Er konnte in die Zukunft sehen, zumindest bis in einem gewissen Maß - und vielleicht zeigten ihm die Visionen so viele Einzelheiten, wie der Freund angedeutet hatte. Er konnte eine Trockenmauer in ein gräßliches, lebendes Monstrum verwandeln, Kalkstein zu einer transparenten Substanz metamorphieren und mit wogendem Licht füllen. Er konnte ein Ungeheuer in ihre Träume projizieren, in die Tür des Motelzimmers. Er konnte ihre Spuren verfolgen, sie finden, ihr eine Falle stellen. Er hatte ihr einen Platz in seiner von Wahn bestimmten Fantasiewelt gegeben, und wahrscheinlich wollte er nach wie vor, daß sie die ihr zugewiesene Rolle spielte. Der Freund in Jim - und Jim selbst - mochte bereit sein, sie gehen zu lassen. Aber die dritte Persönlichkeit der mörderische Aspekt seines Ichs, der Feind gierte nach ihrem Blut. Vielleicht hatte sie Glück. Vielleicht hinderten die zwei guten Aspekte in ihm den dritten daran, dominant zu werden, die Kontrolle zu übernehmen und mit der Jagd zu beginnen. Doch Holly bezweifelte das. Außerdem entsetzte sie die
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