Die Kälte Des Feuers
ebenfalls, von Frau zu Frau. »Ist der Boß hier?« fragte sie dann.
»Eddie?« vergewisserte sich die Brünette und fügte geheimnisvoll hinzu: »Er steigt gerade einige hundert Treppen hoch. Was führt Sie hierher?«
Holly stellte sich als Journalistin vor und behauptete, an einer Story zu arbeiten, in der es eine Verbindung zum Dojo gab.
Die Empfangsdame - wenn diese Bezeichnung zutraf - bedachte Holly nicht etwa mit einem finsteren Blick, sondern strahlte übers ganze Gesicht. Eddie, so erklärte sie, nehme jede Gelegenheit wahr, um Publicity für die Schule zu bekommen. Sie stand auf und ging auf eine Tür hinter dem Tresen zu. Dabei gab sie zu erkennen, daß sie Sandalen mit hohen Absätzen und so enge weiße Shorts trug, daß sie wie aufgetragene Farbe wirkten.
Holly fühlte sich allmählich wie ein Junge. Eddie freute sich tatsächlich darüber, daß sein Dojo in der Zeitung erwähnt werden sollte, wenn auch nur am Rande; er wollte sich auch gern interviewen lassen, während er weiterhin Treppen erklomm. Er war kein Asiate, was vielleicht den einfallslosen Namen der Schule erklärte. Holly sah einen hochgewachsenen blonden Mann mit zotteligen Haaren und blauen Augen vor sich, dessen Kleidung nur aus Muskeln und einer kurzen Spandex-Hose bestand, wie sie von Radsportlern getragen wurde. Er stand auf einer StairmasterÜbungsmaschine und stieg energisch ins Nichts.
»Es ist großartig«, sagte er, während sich seine ausgezeichnet geformten Beine wie Kolben bewegten. »Noch sechs Treppen, und ich bin ganz oben im Washington-Monument.«
Er keuchte und schnaufte, aber nicht annähernd so laut wie Holly, wenn sie die sechs Treppen zu ihrem Portland-Apartment im dritten Stock hinter sich gebracht hatte.
Sie nahm auf einem nahen Stuhl Platz, saß dadurch genau vor dem Stairmaster und beobachtete den Mann. Schweiß glänzte auf seiner sonnengebräunten Haut und ließ das Haar im Nacken dunkler erscheinen. Die Spandex saß ebenso eng wie die Shorts der Brünetten. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, als habe Eddie von Hollys bevorstehendem Besuch gewußt und alles so vorbereitet, um eine möglichst große Wirkung zu erzielen.
Zwar benutzte Holly erneut das Instrument der Täuschung, aber sie fühlte sich dabei nicht so schlecht wie Viola Moreno gegenüber. Es lag unter anderem daran, daß ihre Geschichte diesmal weniger fantasievoll war: Sie plante, einen langen, ausführlichen Artikel über James Ironheart zu schreiben (wahr), wobei sie feststellen wolle, welche Folgen der Lotteriegewinn auf sein Leben gehabt hatte (gelogen). Sie betonte auch, sein Einverständnis zu haben (gelogen). Ein Wahrheitsgehalt von dreiunddreißig Prozent genügte, um sie vor einem ausgeprägten Schuldbewußtsein zu bewahren - was keine besonders schmeichelhaften Rückschlüsse auf die Qualität ihres Gewissens zuließ.
»Achten Sie darauf, Dojo richtig zu schreiben«, sagte Eddie. Er blickte an seinem rechten Bein hinab und fügte glücklich hinzu: »Sehen Sie sich die Wade an, hart wie Granit.«
Holly betrachtete sie schon seit einer ganzen Weile.
»Die Fettschicht zwischen Haut und Muskel existiert praktisch nicht mehr. Hab’ sie völlig weggebrannt.«
Auch aus diesem Grund machte es der Journalistin nichts aus, Eddie zu belügen: Er war ein eitler, selbstgefälliger Blödmann.
»Noch drei Treppen, und ich habe das Ende des Monuments erreicht«, sagte er. Eddie sprach im Rhythmus seines Atmens, hob und senkte die Stimme, wenn er Luft holte und ausatmete.
»Nur drei? Dann warte ich.«
»Nein, nein. Stellen Sie ruhig ihre Fragen. Ich begnüge mich nicht mit dem WashingtonMonument, nehme mir anschließend das Empire State Building vor.«
»Ironheart gehörte zu Ihren Schülern?«
»Ja. Hab’ ihn selbst unterrichtet.«
»Er kam zu Ihnen, bevor er in der Lotterie gewann.«
»Das stimmt. Ist jetzt ungefähr ein Jahr her.«
»Mai des vergangenen Jahres, glaube ich.«
»Möglich.«
»Hat er Ihnen erklärt, warum er Taekwondo lernen wollte?«
»Nein. Aber er zeigte ziemliches Engagement.« Eddie schrie die nächsten Worte fast, als erreiche er nun das Ende tatsächlich existierender Treppen. »Ende des Monuments!« Er wurde nicht etwa langsamer, sondern trat noch schneller. »Im Empire State, nach oben.«
»War Ironheart gut?«
»Besser als nur gut! Hätte ein echtes As werden können.«
»Hätte?« wiederholte Holly. »Soll das heißen, er hörte auf?«
Eddie atmete jetzt schneller und stieß die Worte in einem
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