Die Kälte Des Feuers
mich richtig: Es dürfte alles andere als leicht sein, Jim von seinem Kummer zu befreien, ihn wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Seit ich ihn kenne, habe ich das Gefühl, daß tief in ihm Trauer wohnt, wie ein Fleck, den man nicht fortwaschen kann. Eigentlich kein Wunder, wenn man bedenkt, was mit seinen Eltern geschehen ist daß er schon als zehnjähriger Knabe zur Waise wurde.«
Holly nickte. »Danke. Sie haben mir sehr geholfen.«
Viola umarmte sie impulsiv und hauchte ihr einen Kuß auf die Wange. »Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie und Jim so bald wie möglich zum Essen kämen. Ich biete Ihnen die besten Tamales aus grünem Mais, die Sie je gekostet haben. Außerdem bringe ich schwarze Bohnen und so feurigen Jalapenoreis auf den Tisch, daß Ihre Zahnplomben schmelzen!«
Holly war zugleich erfreut und betroffen - erfreut, weil sie diese Frau kennengelernt hatte, die ihr wie eine liebenswerte, seit vielen Jahren vertraute Tante erschien; betroffen, weil sie mit Lügen zu ihr gekommen war.
Auf dem Weg zum Mietwagen verfluchte sich die Journalistin. Und es mangelte ihr nicht an Kraftausdrücken und Schimpfworten. Zwölf Jahre hatte sie in Nachrichtenredaktionen verbracht, in der Gesellschaft von Reportern. Während dieser Zeit war ein Vokabular entstanden, das es ihr problemlos ermöglichte, bei einem Fluch-Wettbewerb alle Rivalen zu schlagen und den ersten Preis zu gewinnen.
In den Gelben Seiten stand nur eine Taekwondo-Schule in Newport Beach. Sie befand sich in einem Einkaufszentrum am Newport Boulevard, zwischen einem Gardinenladen und einer Bäckerei.
Die Schule hieß Dojo - das japanische Wort für die Übungshalle des Kampfsports. Genausogut hätte man ein Restaurant >Restaurant< oder ein Bekleidungsgeschäft >Bekleidungsgeschäft< nennen können. Die allgemeine Bezeichnung überraschte Holly; für gewöhnlich stellten asiatische Geschäftsleute eine fast poetische Sensibilität unter Beweis, wenn es um die Namen für ihre Unternehmen ging.
Drei Personen standen auf dem Bürgersteig vor dem breiten Dojo-Fenster. Sie aßen Eclairs und nahmen sicher den appetitanregenden Duft wahr, der aus der nahen Bäckerei wehte. Stumm beobachteten sie sechs Schüler, die mit einem koreanischen Unterweiser übten. Der Lehrer trug schwarze, pyjamaartige Kleidung, und trotz seiner stämmigen Statur erwies er sich als bemerkenswert agil. Wenn er einen Schüler auf die Matte warf, zitterten die Tafelglasscheiben im Fenster.
Holly trat ein. Die Aromen von Schokolade, Zimt, Zucker und Hefe blieben hinter ihr zurück, wichen dem Geruch von verbranntem Weihrauch und Schweiß. Die Journalistin hatte einmal über einen jugendlichen aus Portland geschrieben, der bei einem nationalen Wettbewerb gewonnen hatte, und daher wußte sie, daß Taekwondo eine aggressive koreanische Form des Karate war. Dabei nutzte man kräftige Fausthiebe, blitzschnelle Stöße, Handkantenschläge, Würgegriffe und enorm gefährliche Tritte. Der Lehrer hielt sich zurück, aber dennoch hörte Holly dumpfes Stöhnen, zischendes Schnaufen, unartikuliertes Ächzen und lautes Klatschen, wenn Schüler auf die Matte fielen.
In der gegenüberliegenden rechten Ecke des Saals saß eine Brünette hinter einem Tresen und kümmerte sich um die Schreibarbeiten. Das ganze Erscheinungsbild der Frau stellte einen Hinweis auf ihre Sexualität dar. Das knappe rote T-Shirt betonte die vollen Brüste, und es zeichneten sich deutlich kirschgroße Brustwarzen ab. Holly registrierte außerdem: eine dichte Mähne aus kastanienbraunem Haar, darin einige schimmernde blonde Strähnen; subtilen und exotischen Lidschatten; glänzenden roten Lippenstift; genau die richtige Sonnenbräune, nicht zuviel und nicht zuwenig; genug silbernen Modeschmuck, um ein kleines Schaufenster zu füllen. Die Brünette wäre eine perfekte Werbung gewesen, wenn Frauen als Produkte in jedem Supermarkt zum Verkauf gestanden hätten.
»Dauert das Ächzen und Stöhnen den ganzen
Tag über?« fragte Holly.
»Ja, fast.«
»Wie können Sie das nur aushalten?«
»Oh, ich weiß, was Sie meinen«, erwiderte die
Brünette und zwinkerte bedeutungsvoll. »Die Männer sind wie Stiere, die sich ständig gegenseitig auf die Hörner nehmen. Meistens bin ich schon nach einer Stunde so scharf, daß ich es kaum mehr ertrage.«
Darum ging es Holly nicht. Sie fand die Geräusche keineswegs erregend und befürchtete vielmehr, bereits nach wenigen Sekunden Kopfschmerzen davon zu bekommen. Aber sie zwinkerte
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