Die Kälte Des Feuers
ihre wahren Empfindungen verriet: Sie fürchtete sich sehr und wußte, daß ihnen das Schlimmste noch bevorstand.
Mit jeder verstreichenden Minute wuchs Hollys Trotz; sie lehnte es ab, Ironhearts Antworten als unumstößliche Tatsachen zu akzeptieren. Sie zweifelte nicht etwa daran, daß die Dubroweks, Jim und sie selbst überleben würden. Er hatte bereits mehrfach bewiesen, daß er große Erfolge erzielte, wenn er sich auf einen Kampf gegen das Schicksal einließ, und daraus schloß die Journalistin, daß ihnen im vorderen Teil der Touristenklasse wirklich keine unmittelbare Gefahr drohte. Doch sie konnte sich nicht damit abfinden, daß viele andere Passagiere sterben mußten. Sie fand es unerträglich, sich vorzustellen, daß Alte und Junge, Männer und Frauen, Unschuldige und Schuldige, Anständige und Verdorbene, Freundliche und Böse durch das gleiche Unglück umkommen sollten, daß alle der gleiche Friedhof erwartete: eine öde Felslandschaft, oder eine Wiese mit wilden Blumen, die in brennendem Kerosin verkohlten. War das der Lohn für diejenigen, die ein Leben in Würde und Respekt vor ihren Mitmenschen geführt hatten?
Über Iowa verließ Flug 246 Minneapolis Center, die Flugverkehr-Überwachung nach Denver Center, und erreichte den Zuständigkeitsbereich von Chicago Center. Die hydraulischen Systeme reagierten noch immer nicht; Chicago und das Büro von United Airlines gaben Delbaugh die Erlaubnis, den Kurs zu ändern und den nächsten Airport anzufliegen: Dubuque, Iowa. Der Kapitän überließ Anilow die Kontrolle über das Flugzeug und versuchte, zusammen mit Chris Lodden, eine Lösung für das Problem zu finden.
Zunächst einmal setzte er sich mit der System Aircraft Maintenance (SAM) in San Francisco in Verbindung. SAM war die zentrale Wartungsstation der United Airlines, ein hochmoderner Komplex, in dem über zehntausend Techniker und Ingenieure arbeiteten.
»Wir sind in Schwierigkeiten«, sagte Delbaugh ruhig. »Ausfall aller hydraulischen Systeme. Wir können noch eine Weile in der Luft bleiben, aber wir sind nicht mehr manövrierfähig.«
In SAM waren nicht nur die Angestellten der UA tätig - und zwar rund um die Uhr -, sondern auch Spezialisten der Unternehmen, deren Flugzeuge im Linienverkehr der United Airlines eingesetzt wurden. Zu ihnen gehörten auch Personal von General Electric, dem Entwickler der CF-6-Triebwerke, und ein Fachmann vom Hersteller der DC-10, McDonnell Douglas. Den Leuten in SAM standen Handbücher, andere schriftliche Unterlagen und ein elektronisch gespeicherter Datenberg zur Verfügung, hinzu kam eine detaillierte Wartungsgeschichte jeder Maschine in der UA-Flotte. Die Techniker konnten Delbaugh und Lodden über jedes einzelne mechanische Problem Auskunft geben, zu dem es irgendwann an Bord ihres Flugzeugs gekommen war. Sie wußten, was man beim letzten Wartungsintervall unternommen hatte und wann zum letztenmal die Bezüge der Sitze erneuert worden waren. Auf Anfrage nannten sie sogar die exakte Summe des Wechselgeldes, das die Passagiere während der letzten zwölf Monate an Bord verloren hatten.
Delbaugh hoffte, daß sie ihm mitteilen würden, wie er ein riesiges Flugzeug ohne die Hilfe von Rudern, Klappen und anderen notwendigen Manövriervorrichtungen fliegen sollte. Selbst die besten Trainingsprogramme gingen von der Annahme aus, daß bei Katastrophen dank der Ersatzsysteme zumindest eine gewisse Kontrolle blieb. Zuerst wollten die SAM-Spezialisten kaum glauben, daß alle hydraulischen Anlagen ausgefallen waren; sie nahmen an, Delbaugh meine einen teilweisen Funktionsverlust. Er mußte sie schließlich anschreien, um ihnen die Situation zu verdeutlichen
- was er sofort bedauerte. Es wäre ihm lieber gewesen, sich ein Beispiel an dem kühlen Professionalismus zu nehmen, den andere Piloten vor ihm unter ähnlichen Umständen gezeigt hatten, und der Klang seiner nervösen Stimme erschreckte ihn. Anschließend konnte er sich nicht mehr selbst einreden, wirklich so ruhig zu sein, wie er sich gab.
Der Fluglehrer Pete Yankowski kehrte aus dem Heckbereich zurück und berichtete, durch ein Fenster habe er ein fast vierzig Zentimeter breites Loch im horizontalen Teil des Rumpfendes beobachtet. »Wahrscheinlich sind die Beschädigungen noch weitaus größer. Stellen Sie sich Schrapnellsplitter vor, die hinter dem Heckschott alles zerfetzt haben - Sie wissen ja, daß sich dort die wichtigsten hydraulischen Komponenten befinden. Wir können von Glück sagen, daß es nicht
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