Die Kälte in dir (German Edition)
nicht zu denken. Er betrachtete die Erdkante, die in etwa fünf Meter Entfernung vor ihm aufragte. Dahinter strahlte das Morgenlicht und verkürzte den Schatten, der in die Baugrube fiel. Wenn er den Kopf in den Nacken legte, konnte er die Größe des Areals erahnen. Die gelben und roten Kräne, die in den Himmel ragten, die Container der Bauaufsicht und der Arbeiter, den Fuhrpark von Raupen und Lastwagen. Erdhaufen, Baumaterial. Alles vorhanden, nur keine Leute.
Wieder sah Daniel auf das Handydisplay. Keine Verbindung, und noch drei Minuten bis Schichtbeginn.
Kristina versuchte es noch dreimal, während sie sich anzog. Daniels Mobiltelefon war in kein Funknetz eingespeist. Warum nicht? Wo trieb er sich um sechs Uhr morgens herum? Weshalb der Anruf bei ihr? Das war die dringlichste Frage. Sicher nicht aus Sehnsucht. Aus Versehen? Oder war er in Gefahr? War er wieder auf eigene Faust unterwegs?
Sie konnte kein Risiko eingehen, selbst wenn sich ihre Sorge als unbegründet herausstellte, aber sie musste sein Handy orten lassen.
Auf dem Weg zur Bushaltestelle rief sie im Präsidium an. Es war noch zu früh und der Kollege, den sie zu erreichen versuchte, noch nicht in der Dienststelle. Die Stimme in der Leitung kannte sie nicht. Eine Frau, deren Name ihr nichts sagte. Für einen Moment kam ihr die Furcht um Daniel lächerlich vor. Was, wenn es falscher Alarm war?
Trotzdem gab sie ihr Anliegen und Daniels Telefonnummer durch. Zu zögerlich, das merkte sie umgehend an der Reaktion der Dame in der Zentrale. Erst als Kristina betonte, dass es sich dabei um einen Kollegen handelte, der vermisst wurde, schien die Polizistin am anderen Ende der Leitung aufzuwachen. Ein ermordeter Kollege war tragisch genug, ein weiterer wäre eine Katastrophe.
Bis Kristina im Präsidium war, würde die Ortung stehen. Es versetzte ihr einen Stich, wenn sie daran dachte, wie viel wertvolle Zeit sie damit verlor, nicht augenblicklich in ihr Auto springen zu können. Was hatte sie sich da nur eingebrockt? Sollte Daniel tatsächlich in Gefahr sein, konnte jede Sekunde zählen.
Während sie in den Bus stieg, wählte sie die Nummer von Ralf Winkler.
Sie waren nicht die Ersten. Ein Notarzt war bereits eingetroffen und die Feuerwehr. Kristina drängte sich wie ein Footballspieler durch die Bauarbeiter und Schaulustigen vor den Absperrgittern und war an dem Gerüst für den Abstieg in die Baugrube, bevor jemand von den Einsatzkräften sie aufhalten konnte. Erst auf dem betonierten Fundament stoppten zwei Uniformierte ihren Vorwärtsdrang, bis sie es schaffte, den Dienstausweis aus der Tasche zu zerren.
»Das ist ein Kollege!«, schrie sie.
»Es geht ihm den Umständen entsprechend gut«, sagte einer der Polizisten in das Rattern des Presslufthammers hinein und machte den Weg frei.
Ein Feuerwehrmann bearbeitete mit einer Trennscheibe im Funkenregen eine Eisenstange, die über Daniels Brustkorb gebogen war. Ein anderer Ersthelfer war dabei, den Beton aufzustemmen, während zwei weitere mit einem Brett versuchten, Daniel und den Notarzt vor fliegenden Trümmerteilen abzuschirmen.
Ungeachtet der scharfkantigen Zementgeschosse kniete Kristina sich zu ihnen und griff nach Daniels schlaffer Hand. Er sah furchtbar aus, sein Gesicht war blutverschmiert.
»Das ist nur oberflächlich«, schrie der Mediziner gegen den Lärm an, weil er ihren betroffenen Blick deutete. »Ich habe ihm eine Beruhigungsspritze gegeben.« In seiner Linken hielt er einen Infusionsbeutel in die Höhe. Das andere Ende des Schlauchs steckte in Daniels Unterarm, während Daniel teilnahmslos in den Himmel starrte.
Der Feuerwehrmann mit der Flex hatte den Baustahl durchtrennt, und gemeinsam bogen sie ihn auf, um Daniels Oberkörper zu befreien.
»Was ist mit seinen Beinen?«, fragte Kristina den Arzt. Sie spürte, wie sich der Betonstaub mit dem Schweiß auf ihrer Haut vermischte.
»Werden wir sehen, wenn wir sie da raushaben«, brüllte der Notarzt, dessen Gesicht ebenso mit grauen Zementpartikeln bedeckt war.
»Es wäre besser, Sie würden jetzt Platz machen!« Er wedelte mit der freien Hand, dass sie verschwinden sollte.
Widerwillig stand sie auf. Daniel wurde versorgt. Sie konnte jetzt ohnehin nichts für ihn tun. Außer herauszufinden, wer ihm das angetan hatte.
Sie fand den leitenden Beamten bei einer Traube von Bauarbeitern. Wahrscheinlich jene, die Daniel in der Grube entdeckt und die Polizei verständigt hatten.
Er sah sie kommen und bemühte sich um ein
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