Die Kaempferin
blutig wurden.
»Ich brauche ein Tuch und Wasser«, sagte er. Mir fiel auf, wie seltsam ruhig er wirkte. Er schluckte. Sein Gesicht war kreidebleich, seine Augen geweitet. Plötzlich stieß er hervor: »Wasser! Kann mir jemand Wasser holen, verflucht noch mal?«
»Es geht mir gut«, flüsterte ich mit heiserer Stimme, doch es war eine Lüge: Jeder Atemzug schmerzte, und meine Brust pochte. Ich streckte den Arm aus und ergriff Williams Hände, hielt sie fest und zwang ihn, mir in die Augen zu sehen. »Es geht mir gut, William. Ich habe den Fluss benutzt, um den Pfeil aufzuhalten. Er muss gesplittert sein. Die Blutung hat bereits aufgehört.«
Ich spürte, wie William zitterte, und sah in seinen Augen eine Panik, die er kaum zu bändigen vermochte. Dann aber verschwand sie von einem Moment auf den anderen. Er kauerte sich auf die Fersen zurück. »Ich habe gedacht …«
Ich drückte seine Hände und ersparte ihm weitere Worte. »Ich weiß.« Meine Stimme war immer noch heiser und rau vor Schmerz. Ich hustete und versuchte zu grinsen.
William lächelte mich an. Es war ein von Angst und Sorge überschattetes Lächeln, aber es war ein Lächeln. Eines, an das ich mich vom Deck der Trotzig erinnerte, wo er mir in der Dunkelheit die Sterne gezeigt hatte.
»Hilf mir auf«, bat ich ihn.
»Ich bin nicht sicher, ob das eine gute Idee ist«, warf Avrell ein. »Der Meuchler …«
»Westen kümmert sich bereits darum«, fiel ich ihm ins Wort und zuckte zusammen, als William mir half, mich vorzubeugen. Mit angezogenen Knien und hängendem Kopf wartete ich, bis das Pochen in meiner Brust nachließ.
Alle halfen mir beim Aufstehen.
Ich ließ den Blick über die Straße schweifen und stellte fest, dass sie im Umkreis von dreißig Schritten von den Feiernden geräumt worden war. Zerbrochene Hörner, Wimpel, fallen gelassene Masken und Federbüschel übersäten die Pflastersteine. Doch die Panik hatte sich nicht weit ausgebreitet: Weiter vorne drängten die Massen noch immer auf den Platz des Steingartens.
Mit finsterer Miene starrte ich in diese Richtung. Der Zorn über den Angriff festigte sich in mir; mein Herz hämmerte in der geschundenen Brust. Ich verengte die Augen zu Schlitzen und tauchte in den Fluss. Ein Stück entfernt spürte ich das Feuer in Westens Innerem. Es entfernte sich rasch und wild flackernd.
Und plötzlich spürte ich eine weitere Störung – einen Lidschlag, bevor die Schreie gellten, irgendwo auf dem eigentlichen Platz.
»Was um alles in der Welt …«, stieß Erick hervor.
Die Gardisten ringsum traten unruhig von einem Bein aufs andere.
Erick schaute zu mir, doch ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Aber lasst es uns herausfinden.«
Gesäumt von den Gardisten setzten wir uns in Bewegung und bahnten uns einen Weg durch die Menge, die den Platz verstopfte.
Im Fluss fühlte ich die Verwirrung der Menschen. Angst flammte in denen auf, die uns am nächsten standen, als sie die gezückten Schwerter der Gardisten erblickten und die kalte Wut in ihren Gesichtern sahen. Anders als die Meute auf den Straßen wichen sie zurück und ließen uns durch. Da ich über die Köpfe so vieler, dicht gedrängt stehender Leute nicht hinwegschauen konnte, schickte ich meinen Geist mithilfe der Sicht ein Stück voraus. Ich spürte, wie Marielle dasselbe tat.
Fast auf Anhieb entdeckte ich die Quelle der Störung. Ich holte Luft, um Erick in die richtige Richtung zu weisen, hielt dann aber inne, als ich eine zweite Quelle entdeckte, weiter entferntzu meiner Linken, dann eine dritte irgendwo am äußeren Rand des Platzes.
»Da drüben!«, rief ich über den Lärm der Menge hinweg.
Erick schaute in die Richtung und runzelte die Stirn, während seine Augen suchten. Dann nickte er und befahl, den Weg zu räumen, ehe er sich in Bewegung setzte. Wir anderen folgten ihm dichtauf. Wir kamen an der riesigen Statue einer nackten Frau mit langem Haar vorbei, die in einem Becken voll glitzerndem Wasser stand und mindestens drei Mal so hoch aufragte wie ich. Als Nächstes kam ein Wolf, der so lebensecht gearbeitet war, dass ich vermeinte, den Hass des Tieres zu spüren; dann folgte ein Mann mit einer Krone auf dem Haupt, die Hand ausgestreckt, als wolle er etwas aus der Luft greifen …
Und dann brachen wir durch die Menge in einen geräumten Kreis vor, an dessen Rand Gardisten Venittes die Leute zurückhielten.
In der Mitte des Kreises kauerte Sorrenti neben Fürstin Casaris Körper. Ihr Kopf ruhte in seinem Schoß.
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