Die Kaempferin
des Hafenbeckens einzuholen. Dahinter erstreckten sich vom Ufer und der Mündung des Flusses aus Gebäude und Straßen, die einer verkohlten Hülle dicht über jenem Kai glichen, an dem die Chorl gelandet waren. Der Palast lag im Süden, der Siel im Norden.
Längere Zeit beobachtete ich das Treiben in der Nähe des Kais. Dabei fielen mir die leeren Anlegeplätze an den Docks auf.
»Nein«, meinte ich schließlich. »Wir können sehr wohl noch etwas tun.«
Darryn und Catrell blickten mich fragend an.
»Und was?«, wollte Darryn wissen.
Ich deutete auf den Hafen und die Stadt dahinter. »Wir können eine weitere Mauer bauen.«
»Das wird uns in den Ruin treiben«, sagte Avrell.
»Was? Das Fest? Diese Einsicht kommt zu spät. Es hat bereits begonnen.«
Avrell presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und hatte sichtlich Mühe, an sich zu halten. »Nein, nicht das Fest. Der Bau der Mauer.«
Ich hielt inne und musterte ihn. Wir befanden uns im Vorzimmer meines Schlafgemachs. Avrell saß, während ich mir das Hemd in die Hose stopfte. Isaiah hatte vor ein paar Tagen den Verband an Avrells Arm abgenommen und die Schulter für geheilt erklärt.
»Baut die Mauer einfach«, sagte ich. »Wir haben Baumaterial aus dem Steinbruch im Norden, Holz aus den Wäldern im Osten und reichlich Arbeitskräfte in der Stadt. Nehmt Leute vom Siel. Die Zimmermänner und Baumeister betteln fast darum, anfangen zu können.«
»Ja, aber das alles kostet viel Geld – Geld, das wir zurzeit nicht besitzen. Zumindest nicht genug. Ein beträchtlicher Teil ist für die Lebensmittel draufgegangen, die benötigt wurden, um den Winter zu überstehen. Es reicht noch, um die Bediensteten und Gardisten zu bezahlen und den Betrieb im Palast notdürftig in Gang zu halten, aber das ist auch schon alles. Unsere Mittel für den Bau der Mauer auszugeben kommt nicht infrage, es sei denn, Ihr habt irgendwo in den Elendsvierteln ein geheimes Goldversteck, von dem Ihr nichts erzählt habt.«
Ich schleuderte ihm einen vernichtenden Blick zu. »Wir brauchen diese Mauer. Letztes Mal haben die Chorl vom Meer aus angegriffen, weil sie daran gewöhnt waren. Catrell und Darryn zufolge sind unsere größte Schwäche derzeit die ungeschützten Teile der Stadt im Osten, darunter die Viehhöfe und der Siel. Wir brauchen dort eine Verteidigung. Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass die Chorl uns genug Vorwarnung geben,um alle Menschen aus diesen Bereichen hinter die Mauern des Palasts schaffen zu können!«
»Dann müsst Ihr Euch etwas einfallen lassen, um die Mittel für den Bau anderweitig aufzubringen.«
Bevor ich mir eine bissige Erwiderung überlegen konnte, klopfte es an der Tür. Gleich darauf wurde sie geöffnet, und einer der Sucher, die meine Gemächer bewachten, steckte den Kopf ins Zimmer. »Marielle ist hier, um Euch bei den Vorbereitungen zu helfen, Regentin.«
»Ich bin bereits fertig«, gab ich zurück.
Avrells Augen weiteten sich jäh. Draußen auf dem Gang, hinter dem Sucher, hörte ich Marielles Stimme: »Was?« Sie drängte sich an dem verwirrten Mann vorbei, der leise die Tür hinter ihr schloss. Ihr Blick wanderte über mein frisches weißes Hemd, meine gelbbraune Hose, meine Stiefel und den Dolch an meinem Gürtel. Marielle trug ein hellgrünes Kleid mit einer langen blauen Schärpe.
»Wollt Ihr das zum Fest anziehen?«, fragte sie.
Verwirrt legte ich die Stirn in Falten. »Das trage ich doch immer.«
»Ja, eben!«
Marielle eilte durch die Vorkammer in die inneren Räumlichkeiten und ging flugs zum Kleiderschrank. »Ihr müsst hier drin doch etwas Geeignetes für diesen Anlass haben …«
Ich warf einen überraschten Blick zu Avrell, der eine verdächtig unverbindliche Miene aufgesetzt hatte.
»Was zum Beispiel?«, fragte ich.
»Zum Beispiel ein Kleid.«
Meine Eingeweide krampften sich vor Grauen zusammen, und das Problem mit der Mauer war schlagartig vergessen. Ich folgte Marielle in meine Gemächer. Avrell blieb einen Schritt hinter mir. »Ich habe kein Kleid. Ich trage keine Kleider. Ich mag keine Kleider.«
Mit einem dünnen Nachthemd, das sie vor sich hielt, tratMarielle vom Schrank zurück. Angewidert warf sie es zu Boden; dann blickte sie Avrell an. »Eryn«, sagte sie.
Avrell schien zu verstehen. Nach einem kurzen Nicken verschwand er durch die Tür. Ich hörte, wie sich die Außentür öffnete und schloss. Gleich darauf ertönten rasche Schritte.
Ich suchte Marielles Blick, sah ihr fest in die Augen
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