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Die Kaempferin

Die Kaempferin

Titel: Die Kaempferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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und setzte die strengste Miene auf, die ich zustande brachte. »Ich trage keine Kleider«, erklärte ich mit kalter Stimme, in der ich die tödliche Entschlossenheit mitschwingen ließ, die man gemeinhin mit den Suchern in Verbindung brachte. »Ich bin die Regentin.«

    Eine halbe Stunde später trat Eryn zurück, nachdem sie die Falten eines meiner Ärmel glatt gestrichen hatte, und sagte: »So. Was meinst du?«
    Marielle musterte mich eindringlich. »Es wird reichen müssen. Wir sind bereits spät dran. Wenn wir nicht sofort aufbrechen, müssen die Schiffe ohne unsere Verabschiedung in See stechen, anderenfalls verpassen sie die Flut.«
    Ich stand steif da. Das Kleid fühlte sich unangenehm auf der Haut an, zumindest dort, wo es die Haut berührte. Es war gelb, an den Säumen bestickt wie alle Kleider Eryns, und reichte mir bis zu den Fesseln. Um die Mitte war es mir angepasst worden – zwei Dienerinnen hatten hastig gemessen, abgesteckt und das Kleid auf die richtige Größe genäht. Die Ärmel waren weit, die Schultern schmal, und der Kragen besaß einen rechteckigen Ausschnitt. An der Brust und am Schlüsselbein konnte ich die kühle Luft auf der Haut fühlen. Auch an den Beinen, denn sie hatten mich gezwungen, in Sandalen zu schlüpfen, statt Stiefel oder Schuhe zu tragen.
    Das einzige Zugeständnis, das sie mir gemacht hatten, war mein Dolch. Er steckte – schnell und einfach zu erreichen – ineiner an meinen Unterarm gebundenen Lederscheide, die Westen, der Hauptmann der Sucher, mir gegeben hatte. Das Gewicht der Waffe fühlte sich tröstlich an.
    Mit zu Schlitzen verengten Augen starrte ich Eryn und Marielle finster an, senkte die Arme und atmete das berauschende Duftwasser ein, das sie mir aufgetragen hatten. »Sind wir fertig?«
    Eryn lächelte und strich die Falten ihres weißen Kleides glatt. »Ich denke schon.«
    Sie scheuchten mich ins Vorzimmer, wo Keven, Avrell, Nathem und Westen warteten. Catrell, Darryn und Regin befanden sich bereits unten am Kai, wo sie sich um die letzten Vorbereitungen der drei Handelsschiffe und ihrer Eskorten kümmerten.
    Avrell sog scharf die Luft ein und stieß hervor: »Ihr seht so anders aus …« Dann bemerkte er Eryns Blick und verstummte. Keven schaute verdutzt drein, als würde er mich gar nicht erkennen. Westen zog nur eine Augenbraue hoch. Alle waren förmlich gekleidet – die Gardisten in kastanienbraune Uniformen, an denen hier und da Rüstungsteile funkelten, während Avrell und Nathem die dunkelblauen und goldenen Gewänder des Palasts trugen.
    »Gehen wir«, sagte ich knapp und weigerte mich, der inneren Unruhe Beachtung zu schenken, die mich plötzlich erfasst hatte.
    Eine Eskorte aus zwanzig berittenen Gardisten geleitete die drei Kutschen durch die geräumten Straßen Amenkors. Es war das erste Mal, dass ich in einer Kutsche fuhr, aber das Kleid machte es mir unmöglich, ein Pferd zu reiten, was ich für gewöhnlich tat, wenn ich mich durch die Stadt bewegte. Ich fand die Erfahrung im wahrsten Sinne des Wortes erschütternd, wofür auch das unebene Kopfsteinpflaster der Straßen sorgte. Unwillkürlich erinnerte ich mich daran, wie ich das erste Mal eine Kutsche gesehen hatte, nachdem ich Blutmal getötet hatte und aus den Elendsvierteln über den Fluss in die Unterstadt geflüchtetwar. Damals hatte ich das Gefährt als seltsam empfunden und für eine Art Zimmer auf Rädern gehalten. Es war so völlig anders gewesen als alles, was ich vom Siel kannte, und vor Furcht hatte ich mich tief in den vertrauten Gefilden einer dunklen Gasse versteckt, bis die Kutsche daran vorbeigerollt war.
    Nun starrte ich aus dem kleinen, rechteckigen Fenster und beobachtete, wie die Gassen an mir vorüberzogen. Wir passierten die zerstörten Mauern, an denen erste Anzeichen der Instandsetzungsarbeiten zu sehen waren und die im spätnachmittäglichen Sonnenlicht schimmerten. Einige wenige Menschen hielten sich noch in der Oberstadt auf. Die meisten Leute waren offenkundig auf dem Weg hinunter zum Kai und zu dem Fest, das dort stattfinden sollte. Die Fenster und Türen der Gebäude, die wir passierten, zierten Girlanden aus Gras oder Kiefern- und Espenzweigen aus den Wäldern, zusammengebunden mit Schleifen, die in der leichten Brise flatterten. Banner hingen von Pfählen, die an Straßenecken aufgestellt worden waren, oder ragten über den Eingängen von Geschäften hervor. Die Bewohner Amenkors hatten sich mit Feuereifer auf die Vorbereitung des Fests gestürzt, und binnen

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